Frankreich> Streik in Frankreich - Nur ein Vorgeschmack
Widerstand gegen Macrons »Rentenreform« in Frankreich:
Öffentliche Verkehrsbetriebe in Paris lahmgelegt
von Hansgeorg Hermann, Paris
Ein umfassender Streik der Verkehrsbetriebe hat am
Freitag das öffentliche Geschäftsleben in der französischen Hauptstadt Paris
nahezu vollständig zum Erliegen gebracht. Die Arbeitsniederlegung kennzeichnete
den Beginn einer landesweiten Widerstandskampagne gegen die geplante
»Rentenreform« des neoliberalen Präsidenten Emmanuel Macron. Für die Opposition
stellt die Rentenformel des Staatschefs – »ein Euro Rente für einen Euro
Beitragsleistung« – den letzten Schritt hin zur völligen »Vernichtung des
französischen Sozialstaats« dar, wie die Pariser Tageszeitung Libération in ihrer Freitagausgabe
anmerkte.
Der Pariser Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler
Thomas Piketty hält die vom Präsidenten und seinem rechtskonservativen
Ministerpräsidenten Edouard Philippe so bezeichnete »Universalrente« für eine
Schimäre. Die »systemische Reform« des bisher geltenden Gesellschaftsvertrags
stelle einen erneuten Angriff auf die Schichten mit den niedrigen Löhnen
zugunsten einer Minderheit mit hohen Einkommen dar, so Piketty in einem
ebenfalls am Freitag in der Libération
erschienenen Beitrag. »Falls diese Regel festgeschrieben werden sollte – ein
Euro Rente für einen Euro Beitrag ohne Rücksicht auf das Lohngefälle – dann
wäre das in der Tat ein ›Überlebe oder verrecke‹ von Beginn des Rentenalters an
bis hin zum Tod.«
Französische Medien zitierten am Donnerstag einen
nicht namentlich genannten Kritiker des Gesetzentwurfs aus dem Umfeld des
Präsidenten: Es habe »eine echte Debatte gegeben zwischen jenen, die sagten, es
muss eine systemische Reform gemacht werden und jenen, die erklärten, das eigentliche
Problem sei das (nicht vorhandene, jW)
finanzielle Gleichgewicht« in der französischen Gesellschaft. Inzwischen ist
klar, dass Macron und sein Regierungschef – nach der Zerstörung des alten
Arbeitsrechts und der bisherigen Regeln für die Arbeitslosenversicherung – in
der Rentenfrage erneut auf eine Besserstellung jener relativ wenigen
Großverdiener zielen. Dank der absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung
werden sie ihr neoliberales Vorhaben wohl durchsetzen können.
Über die Finanzierung des jüngsten Schlags Macrons
gegen den Sozialstaat sei bisher viel zu wenig diskutiert worden, klagte
Piketty: »Ein enormes Ding ist doch, dass die Regierung eine generelle
Beitragsquote von 28 Prozent für Jahreseinkommen von bis zu 120.000 Euro
vorschlägt. Was darüber liegt, wird dann plötzlich nur noch mit 2,8 Prozent
besteuert. Eine unglaubliche Bevorteilung jener Leute, die zwischen 120.000 und
250.000 Euro im Jahr einstreichen.« Den Dialog mit den Gewerkschaftsführern und
den Repräsentanten von öffentlichen Einrichtungen – seien es Ärzte,
Krankenpfleger, Lehrer oder Universitätsvertreter – verweigert der Staatschef
seit Monaten. Nach seiner Reise durch das Land, verbunden mit jeweiliger
Einmannshow vor ausgewähltem Publikum und umgeben von Fernsehkameras (diese
Auftritte sollten den protestierenden »Gelbwesten« den Wind aus den Segeln
nehmen), verschwand Macron wieder in der Versenkung des Élysée-Palastes.
Gewerkschaftsführer, u. a. der
CGT-Generalsekretär Philippe Martinez, erzählten am Freitag morgen im Fernsehen,
sie hätten den Staatschef seit Juni 2017 nicht mehr direkt sprechen können,
auch nicht zum Thema »Rentenreform«. Ein Grund mehr für Mediziner und
Krankenschwestern aus den Intensivstationen der Krankenhäuser, wo
beängstigender Personalmangel herrscht, sich mit den streikenden
Verkehrsbetrieben zu solidarisieren. »Wir werden ein Exempel statuieren«,
warnte auch Philippe Boyer, stellvertretender Generalsekretär der
CGT-Teilgewerkschaft UGICT, am Freitag den Präsidenten – und kündigte schwere
Zeiten für den einsamen Herrscher Macron und seinen Vollstrecker Phillippe an.
»Wir werden zeigen, dass wir mobilisieren können. Wir werden kämpfen, in jedem
einzelnen Betrieb.« Das Pariser Verkehrschaos am Freitag, ausgelöst durch die
in den Medien als »Monsterstreik« bezeichnete Arbeitsniederlegung, war wohl nur
ein Vorgeschmack dessen, was auf Macron noch zukommt.
Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/362800.streik-in-frankreich-nur-ein-vorgeschmack.html