Ukraine - Nützliche Faschisten
KIEW/ZAGREB/BERLIN 30.1.2014
(Eigener Bericht) - Trotz
anhaltender Übergriffe ultrarechter Kräfte in der Ukraine setzt Berlin die
Regierung in Kiew weiter massiv unter Druck. Am gestrigen Mittwoch ist zum
zweiten Mal ein Polizist ermordet worden. Der Anführer eines faschistischen
Zusammenschlusses in Kiew teilt mit, er wolle die "Führung der
Revolution" übernehmen. Dessen ungeachtet erklärt der Berliner Außenminister,
die bisherigen "Angebote" des ukrainischen Präsidenten - ein
Regierungsrücktritt und die Aufhebung neuer Versammlungsgesetze - genügten
nicht; weitere Schritte seien notwendig. Nicht zum ersten Mal stützt sich die
Bundesregierung auf Aktivitäten, auch faschistischer Kräfte, um ein
geostrategisches Ziel - in diesem Falle die Abdrängung russischen Einflusses
aus der Ukraine - durchzusetzen. Bereits vor 1990 hatte die Bundesrepublik
ehemalige kroatische NS-Kollaborateure aus der faschistischen Ustaša gefördert,
um Pläne für eine künftige Abspaltung Kroatiens von Jugoslawien voranzubringen.
Jugoslawien galt als mögliches Gegengewicht gegen die deutsche Vorherrschaft in
Südosteuropa. Auswirkungen der damaligen Stärkung faschistischer Kräfte zeigen
sich in Kroatien bis heute.
Die Führung der Revolution
In der Ukraine dauern die
Übergriffe ultrarechter Kräfte weiter an. Am gestrigen Mittwoch ist in Kiew zum
zweiten Mal ein Polizist ermordet worden. Bereits am Dienstag war in Cherson
ein Polizist an Stichwunden gestorben, die ihm Demonstranten zugefügt hatten.
In Kiew kündigt jetzt ein Anführer des faschistischen Zusammenschlusses
"Rechter Sektor" an, er wolle die "Führung der Revolution"
übernehmen.[1] Ein Vertreter der Partei Swoboda, die direkte und indirekte
Unterstützung aus Berlin erhalten hat [2], stellt in Aussicht, im Falle einer
gewaltsamen Eskalation des Konfliktes die Vereinigten Staaten um militärische
Hilfe zu bitten.[3] Im Westen der Ukraine ist es bereits zuvor zu ersten
Parteiverboten gekommen: In Ternopil und Iwano-Frankiwsk dürfen die
"Partei der Regionen" und die Kommunistische Partei keinerlei
Aktivitäten mehr entfalten.
Noch keine Lösung
Trotz der zahlreichen
Exzesse, die das faschistische Spektrum unter den ukrainischen Demonstranten
verantwortet, bleibt die Bundesregierung bei ihrer Unterstützung der gesamten
Opposition. Die bisherigen "Angebote" der ukrainischen Regierung
seien noch "nicht belastbar", erklärte Außenminister Frank-Walter
Steinmeier am gestrigen Mittwoch; sie seien "ein Einstieg", aber
"noch nicht die Lösung".[4] Bei den "Angeboten" handelt es
sich um den Rücktritt der Regierung und um die Abschaffung einiger erst
kürzlich beschlossener Versammlungsgesetze, von denen manche, so etwa das
"Vermummungsverbot", in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten in Kraft
sind. Forderungen, sie in Deutschland abzuschaffen, werden gleichfalls seit
Jahrzehnten ignoriert. Das Ausbleiben jeglicher offener Kritik Berlins an
faschistischen Exzessen in der Ukraine deutet darauf hin, dass das Auswärtige
Amt ihre Wirkung einkalkuliert - um den Druck auf die Regierung Janukowitsch zu
erhöhen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Bundesregierung aus Aktivitäten
von Anhängern ehemaliger NS-Kollaborateure Nutzen zieht.
NS-Kollaborateure
Ein herausragendes Beispiel
für frühere Fälle, bei denen Aktivitäten von NS-Kollaborateuren von der
Bundesrepublik zu geostrategischen Zwecken genutzt wurden, bietet Kroatien,
dessen Abspaltung aus dem jugoslawischen Staat von Bonn schon früh gezielt
unterstützt wurde. Die Vorgeschichte reicht bis in die ersten Jahre der
Bundesrepublik zurück. Damals duldete Bonn politische Aktivitäten einer
ultrarechten, auch von einstigen NS-Kollaborateuren getragenen exilkroatischen
Community, die sich unter anderem um einen gewissen Branimir Jelić scharte.
Jelić, deutscher Präsident eines "Kroatischen Nationalkomitees",
behauptete, der "eigentliche" Gründer der faschistischen Ustaša
gewesen zu sein. Bundesdeutsche Behörden schrieben dem Mann maßgeblichen
Einfluss auf die kroatische Emigration hierzulande zu. Politisch wirksam wurden
die alten Ustaša-Seilschaften, die bundesdeutsche Komponente inklusive, als in
den 1970er Jahren mit dem "Kroatischen Frühling" die Sezession der
Provinz aus dem jugoslawischen Staat zum ersten Mal seit 1945 wieder auf die
Tagesordnung kam.[5]
BND und Ustaša
In dieser Zeit begann der
Bundesnachrichtendienst (BND), die altbekannten Ustaša-Seilschaften in
besonderer Weise zu unterstützen. Der BND pflegte damals enge Kontakte zu einem
Kreis um den kroatischen Geheimdienstler Ivan Krajačić, der zu den
einflussreichsten Sezessionisten-Zirkeln im damaligen Jugoslawien gehörte; dem
Krajačić-Kreis schloss sich in den 1970ern übrigens auch der spätere
kroatische Sezessionspräsident Franjo Tudjman an. Der BND arbeitete
systematisch darauf hin, die bundesdeutschen Ustaša-Seilschaften in enge
Verbindung mit dem Krajačić-Zirkel zu bringen - um die Kräfte zu
stärken, denen man es am ehesten zutraute, Kroatien dereinst von Jugoslawien
abzuspalten. In den 1980er Jahren, als der spätere deutsche Außenminister Klaus
Kinkel BND-Präsident war, seien "in Zagreb alle Entscheidungen in
strategischen und personellen Fragen nur noch in Absprache des Zentrums von
Krajačić mit BND-Instanzen und Ustaša-Repräsentanten getroffen
worden", berichtet der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Laut
Schmidt-Eenboom half der BND übrigens auch, in der Bundesrepublik eine
Pressekampagne zur Freilassung von Tudjman zu entfesseln, als dieser wegen
nationalistisch-revisionistischer Agitation - Tudjman hatte einst die Zahl der
Opfer im kroatischen KZ Jasenovac drastisch heruntergerechnet - im Gefängnis
saß.[6] In dieser Zeit habe die bundesdeutsche Auslandsspionage, berichtet
Schmidt-Eenboom, "zu nahezu allen Persönlichkeiten" Kontakte
aufgebaut, "die nach 1990 in Kroatien und Slowenien wichtige politische,
publizistische und nachrichtendienstliche Funktionen" innehatten.
Geostrategische Ziele
Als die separatistischen
Kräfte, die Bonn zuvor gehegt und gepflegt hatte - darunter Ustaša-Anhänger -,
schließlich zu Beginn der 1990er Jahre die Sezession Kroatiens ins Werk
setzten, da erhielten sie umfassenden politischen Beistand aus der
Bundesrepublik. Sezessionspräsident Tudjman reiste wenige Wochen nach der
Zagreber Unabhängigkeitserklärung vom 25. Juni 1991 zu Gesprächen mit Kanzler
Kohl und Außenminister Genscher nach Bonn; am 23. Dezember 1991 preschte die
Bundesregierung - trotz massiver Warnungen vor einer Eskalation des Krieges in
Jugoslawien - mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens voran. Die
Bundesrepublik hatte ein Interesse an der Zerschlagung Jugoslawiens, das
politisch und ökonomisch womöglich stark genug gewesen wäre, der deutschen
Hegemonie in Südosteuropa etwas entgegenzusetzen - aus diesem Grund war seine
Gründung 1918 schließlich von den Siegern des Ersten Weltkriegs befürwortet
worden. Ein klares geostrategisches Motiv brachte die Bundesrepublik also dazu,
ultrarechte Kräfte zu unterstützen, die in der Tradition von NS-Kollaborateuren
standen. Hier liegt eine Parallele zur Ukraine: Die Swoboda-Partei, die sich
ausdrücklich in die Tradition des NS-Kollaborateurs Stepan Bandera stellt (german-foreign-policy.com berichtete [7]), ist insofern für Berlin von
Nutzen, als sie ebenfalls hilft, ein geostrategisches Ziele zu erreichen -
nämlich russische Positionen in der Ukraine zugunsten deutsch-europäischer
Interessen zu schwächen.
"Grüß uns den Ante
Pavelić!"
Welche Folgen eine Politik,
die die Stärkung faschistischer Kräfte billigend in Kauf nimmt, für das
betroffene Land haben kann - auch in späteren Zeiten, wenn diese Kräfte von der
Bundesrepublik nicht mehr zu strategischen Zwecken benötigt werden -, das zeigt
sich ebenfalls am Beispiel Kroatien. Dort haben - unter tatkräftiger Mithilfe
der alten Ustaša-Seilschaften - in den 1990er Jahren ultrarechte Positionen in
erheblichem Maße an Einfluss gewonnen. Das zeigt sich etwa bei Konzerten des
höchst populären Sängers Marko Perković, der im jugoslawischen
Zerfallskrieg der frühen 1990er Jahre seine ersten Auftritte hatte und seitdem
unter dem Künstlernamen "Thompson" auftritt; "Thompson"
lautet der Name eines Maschinengewehrs. Perković/Thompson tritt nicht
selten vor Zehntausenden auf, die seinen Liedern lauschen; deren Strophen
lauten "Oj, Neretva, fließ abwärts, treib die Serben in die blaue
Adria" oder "Leuchtender Stern über Metković, grüß uns den Ante
Pavelić!" Pavelić hat für die Ustaša eine Bedeutung, die in etwa
derjenigen Banderas für die ukrainische NS-Kollaboration entspricht.
Swoboda-Chef Oleh Tjahnybok, der zum von Berlin gestützten Kiewer
Oppositionstrio gehört, führte am 1. Januar einen Gedenkmarsch zu Banderas 105.
Geburtstag an.[8]
[1] Reinhard Lauterbach:
Janukowitsch gibt nach. www.jungewelt.de
29.01.2014.
[2] S. dazu Die Expansion europäischer Interessen.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58787