Die Verfälschung des Begriffs
Faschismus
soll den Kapitalismus gut
dastehen lassen
von Hossein
Zadei am 31.8.2016
Die oberflächliche und willkürliche Verwendung des
Begriffs Faschismus hat zu einem weitverbreiteten Missverständnis und zu
falscher Anwendung seiner Bedeutung geführt. Auf die Frage, wie sie Faschismus
definieren, würden die meisten Menschen mit Begriffen wie Diktatur,
Antisemitismus, Massenhysterie, effiziente Propagandamaschinerie,
hypnotisierende Reden eines psychopathischen Führers und ähnlichem antworten.
Ein dermaßen allgegenwärtiges falsches Verständnis der
Bedeutung des Begriffs Faschismus ist keineswegs zufallsbedingt. Es besteht
weitgehend aufgrund einer lange anhaltenden bewussten missbräuchlichen
Verwendung des Begriffs. Der Begriff Faschismus wird ganz bewusst vernebelt, um
den Kapitalismus gut dastehen zu lassen. Ideologen, Theoretiker und Meinungsmacher
des Kapitalismus haben systematisch die systembedingten Sünden des Faschismus
von durch den Markt/Kapitalisten bedingtem Versagen auf individuelle oder
persönliche Fehler verschoben.
So werden die Ursprünge, der Anstieg und das Wüten des
klassischen europäischen Faschismus weitgehend Adolf Hitler und Benito
Mussolini in die Schuhe geschoben, nicht den sozioökonomischen Bedingungen, die
zum Aufstieg dieser instrumentell „nützlichen“ Charaktere führten.
Ein offenkundiger Fehler dieser Interpretation des
Faschismus ist, dass diese nicht Manifestationen des Faschismus in jüngster
Zeit erklären kann: nachdem der Archetyp des europäischen Faschismus Hitler und
Mussolini zugeschrieben wird, hätte deren Untergang logischerweise das Ende des
Faschismus bedeuten müssen. Dennoch waren Erscheinungsformen des Faschismus ein
wiederkehrendes Phänomen, das für Perioden kapitalistischer Krisen
charakteristisch ist, wie durch die heutigen Äußerungen faschistischer
Tendenzen in den meisten der kapitalistischen Kernländer erkennbar ist.
Diese unheilverkündenden Entwicklungen beweisen die
Tatsache, dass die Keime des Faschismus dem Kapitalismus innewohnen, wie auch
periodische Krisen dem Kapitalismus innewohnen. Als solches wird der Faschismus
zwangsläufig immer wieder an die Oberfläche kommen, solange der Kapitalismus
die bestimmende Art der sozioökonomischen Produktion bleibt.
So wie die Schuld am europäischen Originalfaschismus
Hitler und Mussolini gegeben wurde, so wird die heutige Zurschaustellung
faschistischer Neigungen Charakteren wie Donald Trump (in den Vereinigten
Staaten von Amerika), Marine Le Pen (in Frankreich), Norbert Hofer (in
Österreich), Alexander Gauland (in Deutschland) und so weiter zugeschrieben.
Der wahre Schuldige war jedenfalls Versagen des Marktes und wirtschaftliche
Unsicherheit, damals wie heute.
Zusätzlich zu der beabsichtigten Freisprechung des
Kapitalismus von den Sünden des Faschismus, bietet dessen aus
Nützlichkeitsüberlegungen betriebene falsche Darstellung den politischen
Vorteil, jeden „unfreundlichen“ Politiker oder „schurkischen“ Staatschef bequem
als Faschist zu dämonisieren. Jean Bricmont schrieb kürzlich auf dieser Seite:
„Neue Hitlers sprießen in der Vorstellung des Westens wie Pilze in einem
herbstlichen Wald“: Gaddafi, Saddam Hussein, Assad, Milosevic, Le Pen, Putin
und Ahmadinejad wurden alle derartigen Charakterisierungen unterzogen. In der
Tat wurde eine Reihe von „unbequemen“ nationalen Anführern wie Saddam Hussein
und Gaddafi zuerst als Faschisten gebrandmarkt, ehe sie gestürzt und ermordet
wurden.
Die falsche Darstellung des Faschismus zielt darauf
ab, den Kapitalismus in zwei wesentlichen Bereichen von seiner Verantwortung
loszusprechen. Erstens gibt sie dem ausführenden Organ des Faschismus (zum
Beispiel Hitler) die Schuld am Aufstieg und an den Verbrechen des Faschismus.
Zweitens schiebt das ausführende Organ die Verantwortung vom System oder von
der sozioökonomischen Struktur auf Sündenböcke wie Migranten, ethnische,
rassische oder religiöse Minderheiten.
Faschismus kann nicht willkürlich definiert werden. Er
kann nicht reduziert werden auf die Verbrechen einzelner Führer
Nazideutschlands oder auf die pathologischen Probleme von Hitlers Verstand oder
auf die „unfreundlichen“ nationalistischen Anführer, die sich der imperialistischen
Agenda von Krieg und Militarismus widersetzen. Während vernebelnde
Beurteilungen dieser Art gelegentlich dazu führen mögen, den furchtbaren Taten,
die das kapitalistische System gelegentlich vollbringen kann, erfolgreich die
Uniform Adolf Hitlers umzuhängen, wären derlei reduktionistische Beurteilungen
nicht sehr hilfreich für den Zweck, soziale Bedingungen abzuwehren, die zum
Wiederauftreten des Faschismus führen können.
Faschismus ist eine spezifische historische Kategorie,
die aus besonderen sozioökonomischen Bedingungen heraus entsteht. Er wächst aus
Zuständen schwerer wirtschaftlicher Belastungen und tiefer sozialer
Unzufriedenheit. Nachdem derartige Bedingungen dazu tendieren, zu
Protestaktionen und radikalen Forderungen seitens der Arbeiter und anderer
Basisgruppen der Linken zu führen, rufen sie auch gegenläufige soziale Kräfte
der Rechten auf den Plan. Anders gesagt ist Faschismus im Wesentlichen eine
konterrevolutionäre Strategie, um revolutionäre Entwicklungen zu verhindern.
Das bedeutet, dass der Faschismus im Kern eine
sozialpolitische Strategie oder ein Werkzeug ist, das vom Big Business oder der
herrschenden kapitalistischen Klasse eingesetzt wird, um gleichzeitig die
unzufriedene Öffentlichkeit ruhig zu stellen und radikale sozialistische
Entwicklungen auszugrenzen. Es bedeutet auch, dass beide, nämlich Faschismus
und Sozialismus, obwohl es sich um widersprechende Elemente handelt, in relativ
fortgeschrittenen kapitalistischen Strukturen latent vorhanden sind – ein Fall
der Einheit von Gegensätzen.
In Perioden wirtschaftlicher Expansion und relativ
niedriger Niveaus bei Arbeitslosigkeit und Armut treten sie praktisch kaum in
Erscheinung. Im Gegensatz dazu beginnen in Perioden wirtschaftlicher
Verwerfungen Zeichen und Symbole beider Seiten wieder aufzutauchen. Allgemein
gesagt bleiben faschistische Zeichen und Symbole so lange in Ruhezustand, als
sozialistische Manifestationen ruhen, nachdem die ersteren oft als Reaktion auf
die letzteren aufkommen.
Die Entwicklung und Brutalität des Faschismus
entspricht dem Grad der Härte der wirtschaftlichen Krise oder der Schwere des
Klassenkampfs. Zum Beispiel spielten die Intensität der sozioökonomischen Krise
der 1930er Jahre in Europa und die Stärke sozialistischer Bewegungen und
Organisationen besonders in Deutschland eine entscheidende Rolle bei der
Katapultierung der Nazikräfte an die Macht und bei der Errichtung der
bösartigen Herrschaft des Faschismus in diesem Land.
Im Vergleich blieben faschistische Manifestationen im
Rahmen der Wahlkampagne Donald Trumps sporadisch und relativ mild, nachdem die
bürokratischen Arbeiterführer im laufenden Wahlkampf (in den Vereinigten
Staaten von Amerika) beschlossen, die Kandidatin des Status Quo Hillary Clinton
zu unterstützen und Bernie Sanders in seinem Wahlkampf nicht in die Nähe eines
sinnvollen sozialistischen Programms kam. Hätten die mit der herrschenden
Klasse kollaborierenden Führer der großen Gewerkschaften (Leon Trotzky
bezeichnete sie als die „Arbeiterleutnants des Kapitalismus“) eine unabhängige
Graswurzelkampagne auf die Beine gebracht und eine handfeste sozioökonomische
Revolution gefordert, an Stelle von Sanders hohler „politischer Revolution,“
dann wären faschistische Tendenzen und Ausbrüche bei Trumps Kampagne in
gefährliche Höhen eskaliert.
Am Rande muss darauf hingewiesen werden, dass die
kapitalistische herrschende Klasse (besonders das “weitsichtige” unabhängige
Big Business-Establishment) faschistische Methoden der Kontrolle nur als
letztes Mittel einsetzen würde. So lange keine ernsthafte Bedrohung des Status
Quo durch die Basis vorliegt, besänftigt sie wirtschaftlichen Stress und
soziale Spannungen lieber mittels minimaler Reformen und üblichen
„demokratischen“ Maßnahmen. Nur wenn solche Maßnahmen nicht in der Lage sind,
die unruhigen und rebellischen Massen der Arbeiter und anderer Menschen an der
Basis ruhigzustellen, das heißt wenn die herrschende Klasse sich außerstande
sieht, mit Hilfe der „demokratischen“ Maschinerie zu regieren, dann würde sie
faschistische Mittel der Kontrolle anwenden.
Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass eine
direkte Verbindung erkennbar ist zwischen dem Ansteigen faschistischer
Tendenzen in jüngster Zeit in den meisten der kapitalistischen Kernländer
einerseits und dem Aufstieg oder der Herrschaft des parasitären Finanzkapitals
in diesen Ländern andererseits. Da der unproduktive schmarotzende Finanzsektor
den produktiven, real wirtschaftenden Sektor dieser Länder ausgemergelt hat,
wurde chronische Stagnation zu einem beständigen Merkmal ihrer Märkte.
Dementsprechend wurden auch hohe Arbeitslosigkeit,
Armut und Ungleichheit zu üblichen Merkmalen dieser Gesellschaften. Da diese
bedrohlichen Entwicklungen die öffentliche Unzufriedenheit und die
Kampfbereitschaft der Werktätigen in diesen Ländern ansteigen lassen haben,
haben sie auch zu Äußerungen des Faschismus geführt. Und da Wirtschaftskrisen
im Zeitalter der Vorherrschaft des parasitären Finanzkapitals dazu tendieren,
häufiger aufzutreten, tendiert auch das Gespenst des Kriegs und Militarismus
gemeinsam mit Drohungen der Repression und des Polizeistaats im eigenen Land
bedrohlicher zu werden.
Aus dieser kurzen Diskussion ergibt sich, dass
Krisensituationen sowohl Chancen als auch Gefahren bieten, sowohl
revolutionär/sozialistische Möglichkeiten als auch konterrevolutionäre/faschistische
Aussichten. Derartige sozialökonomische Perioden von widersprüchlichen
Entwicklungen veranlassten die deutsche Revolutionärin Rosa Luxemburg zur
Aussage: Sozialismus oder Barbarei. Ob sich Sozialismus oder Barbarei durchsetzen,
liegt entscheidend an der Balance der politischen Macht beziehungsweise am
Ergebnis des Klassenkampfs.
Viele Radikale haben die Klassenpolitik gerade zu dem
Zeitpunkt fallen lassen, in dem sie am meisten benötigt wird. Rosa Luxemburgs
Sichtweise, dass Sozialismus die einzige humane Alternative zur
kapitalistischen Barbarei ist, ist heute so relevant wie damals, als sie sie
äußerte (während der Schlächterei des Ersten Weltkriegs). Barbarei starrt uns
an in vielen maskierten Formen. Dennoch scheuen sich dieser Tage viele aus der
Linken, Wörter wie Klassenkampf, Organisation zu gebrauchen, oder über die
entscheidende Rolle der Werktätigen bei sozialer und wirtschaftlicher
Veränderung zu sprechen.
Während die Teilnahme aller Bereiche der Basis
entscheidend ist für den Erfolg des Kampfes für eine Zivilisation, die der
unter dem Kapitalismus herrschenden überlegen ist, wird die Rolle der
Werktätigen in der führenden Koalition der Massen besonders kritisch sein. Nur
die Werktätigen – im breitesten Sinn des Begriffs, der beide, die sogenannten
blue-collar und white-collar-Arbeiter umfasst – können die Herrschaft des
Kapitals zu einem Ende bringen, und damit die ständig lauernden Gefahren von
Wirtschaftskrisen, von Faschismus, von Armut und von Polizeistaat im Inland und
Krieg und Militarismus im Ausland.
Die Umformung der Weltwirtschaft gemäß den Interessen
der Mehrheit der Menschen ist natürlich nicht einfach. Sicher kann sie nicht in
einem Sprung oder in einem Aufstand über Nacht bewerkstelligt werden. Sie kann
nur als kumulatives Ergebnis vieler Schritte auf dem Weg einer langen und
schwierigen Reise ständigen sozialen und wirtschaftlichen Wandels erfolgen.
Niemand kann von vorneherein sagen, wie lange solche Übergangsschritte dauern
oder welche Form sie haben werden. Was die Umbildung der Weltwirtschaft im
Interesse der Mehrheit der Menschen betrifft, steht jedenfalls fest, dass die
Werktätigen neue politische Strategien und neue Organisationen brauchen werden,
um den Kampf für Veränderung zu artikulieren.
Das erfordert eine neue Arbeiterbewegung mit
unabhängiger Politik und Organisation(en). Wie immer die neue Organisation der
Werktätigen heißen wird, sie wird sich nicht nur vom Modell der Gewerkschaften
in den Vereinigten Staaten von Amerika unterscheiden müssen, sondern auch vom
sozialdemokratischen Modell in Europa, Gewerkschaften + Partei. Das heißt, dass
die neue Arbeiterbewegung und/oder Organisation die Interessen der gesamten
Klasse der Werktätigen vertreten wird müssen, nicht nur organisierte Industriearbeit
oder einzelne wirtschaftliche Interessen. Zusätzlich muss sie darauf abzielen,
die Interessen all derjenigen zu vertreten, die die Logik des profitgetriebenen
Marktmechanismus in Frage stellen. Die Arbeiterklasse kann die Weltwirtschaft
beeinflussen, formen und letztendlich führen, wenn sie die Herausforderung
annimmt (a) auf einer internationalen Ebene und (b) im Kontext breiterer
Koalitionen und Allianzen mit anderen sozialen Schichten, die ebenfalls für
Gleichberechtigung, Umweltschutz und Menschenrechte kämpfen.
Orginalartikel "Distorting
Fascism to Sanitize Capitalism" vom 17. Juni 2016
Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2016_08_31_dieverfaelschung.htm