Faschismusauseinandersetzung

Die Bundesregierung stellte ihren Plan einer Dokumentations-, Bildungs-und Erinnerungsstätte zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft im Parlament vor

Reaktion antifaschistischer deutscher Organisationen darauf

Wir, die untenstehenden antifaschistischen deutschen Organisationen schließen uns der

Stellungnahme des Departements für Presse und Information des Außenministeriums Russlands zum durch den Deutschen Bundestag am 9. Oktober 2020 verabschiedeten Antrag „Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs stärken und bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus anerkennen“ ausdrücklich an:

„Am 9. Oktober 2020 hat der Bundestag einen Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD „Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs stärken und bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus anerkennen“ verabschiedet. Mit diesem Dokument beschloss das deutsche Parlament die Errichtung einer neuen Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungsstätte zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Die Bundesregierung soll bis Ende 2020 Konzeption und Realisierungsvorschlag für dieses Projekt vorlegen. Als eine der 15 Republiken der ehemaligen UdSSR und Fortsetzerstaat der Sowjetunion, deren fast 27 Millionen Bürger infolge der Aggression Nazideutschlands ums Leben gekommen sind, begrüßt Russland stets beliebige Bemühungen um die Aufrechterhaltung der historischen Wahrheit über unmenschliche Gräueltaten des von Hitler entfesselten „totalen Vernichtungskriegs“ für die Eroberung „neuen Lebensraums“ für die Deutschen im Osten, der von so genannten „Untermenschen“, also von slawischen Völkern, zu säubern war. Schätzungen des russischen Föderalen Dienstes für staatliche Statistik zufolge schrumpfte allein die Bevölkerung der RSFSR in Zeiten des Großen Vaterländischen Kriegs von 111 auf 97,6 Millionen Menschen. Anfang 1941 lebten in der RSFSR über 14 Millionen Kinder im Alter von unter 4 Jahren und Anfang 1946 – insgesamt nur 6,8 Millionen. Während der grausamen Blockade Leningrads starb etwa 1 Million Einwohner vorwiegend vor Hunger, der durch die Belagerung unserer nördlichen Hauptstadt durch die deutsche Wehrmacht verursacht wurde. Das Gedenken an die durch Nazideutschland begangenen beispiellosen Verbrechen muss zur Belehrung der nächsten Generationen unbedingt wachgehalten werden. Wir bewerten die Schritte des offiziellen Berlin in diesem Bereich positiv. Mit großem Interesse werden wir die Umsetzung des oben genannten Projekts zur Errichtung einer neuen Dokumentations- und Erinnerungsstätte verfolgen. Die russische Seite ist bereit, ihren Beitrag zu deren wissenschaftlicher und historischer Exposition und dem Veranstaltungsprogramm leisten. Mit Blick darauf prüften wir aufmerksam den durch den Bundestag verabschiedeten Antrag und möchten auf einige prinzipielle Momente aufmerksam machen. Aus seinem Wortlaut ergibt sich, dass das Dokumentationszentrum einen besonderen Akzent in seinen Aktivitäten auf polnische, ukrainische und belarussische Erinnerungskulturen des Zweiten Weltkriegs setzen soll. Im Antrag wurde jedoch die russische Erinnerungskultur mit keinem Wort erwähnt. Dies erscheint im Kontext der thematischen Ausrichtung des Dokumentationszentrums (es sei erinnert, dass es sich mit dem „totalen Krieg“ Nazideutschlands an der Ostfront auseinandersetzen soll) aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft mehr als merkwürdig. Es ist dabei zu beachten, dass für die Verfasser dieses Dokuments die Tatsache, es seien auf dem Staatsgebiet des modernen Russlands, genauso wie in der Ukraine und Belarus, sowjetische Bürger millionenfach getötet, misshandelt und deportiert sowie tausende Städte und Dörfer verwüstet worden, unwiderlegbar ist. Es liegt auf der Hand, dass sich die Hintergründe dieses selektiven Ansatzes in diesem Fall als rein politisch erweisen können. Was die von den Autoren hervorgehobene ukrainische Erinnerungskultur des Zweiten Weltkriegs anbelangt, so erhebt sich hier die Frage, worum es konkret geht. Hat das künftige deutsche Dokumentationszentrum vor, die heutzutage von der ukrainischen Regierung mit Nachdruck aufgedrängte Erinnerungskultur der ukrainischen Ultranationalisten zu repräsentieren, die die Kämpfer der SS-Division „Galizien“ und die Anführer der Nazi-Kollaborateure Bandera und Schuchewitsch glorifiziert? Oder wird dieses Zentrum der ukrainischen Staatspolitik der Verherrlichung von Nazi-Verbrechern zuwider die Vision der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges vermitteln, die unser Volk mit den Bewohnern von Donezk, Lugansk, Kiew, Charkow, Odessa, Mariupol, Dnepr, Saporoschje sowie anderer ukrainischer Städte und Dörfer gemeinsam hat? Wie dem auch sei, schneidet die Initiative des Deutschen Bundestages ein sehr sensibles Thema an. Sollte es taktlos behandelt werden, so könnte dies die de facto noch nicht abgeschlossene Nachkriegsversöhnung der europäischen Völker stark beeinträchtigen. Wir hoffen, dass sich die deutsche Bundesregierung darüber vollkommen im Klaren ist. Es darf nicht zugelassen werden, dass das künftige Dokumentationszentrum zu einem Forum für einen Wettstreit der nationalen Interpretationen der Kriegsgeschichte wird, wobei Berlin einige von denen aus Erwägungen der aktuellen politischen Konjunktur bevorzugen wird. Das würde unausweichlich tiefe historische Wunden der europäischen Nationen aufreißen, die von nazistischen Gräueltaten betroffen wurden. Wir können nicht umhin, unser großes Bedauern und tiefe Empörung im Zusammenhang mit der Sichtweise der Verfasser des Antrags zum Ausdruck zu bringen, die dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag von 1939 „eine große Rolle“ für den Beginn des Zweiten Weltkrieges zuschreiben. Diese absichtlich übertriebene, verlogene These stimmt voll und ganz mit der skandalösen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. September 2019 zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas überein. Geschichtliche Unterstellungen und Manipulationen zu dieser Frage, die darauf abzielen, in der westlichen Öffentlichkeit die Idee der gleichen Verantwortung der Sowjetunion und des Dritten Reichs für die Entfesselung des Krieges zu verankern, sind nicht neu und besonders zynisch mit Blick darauf, dass dieses Jahr der 75. Jahrestag des Sieges und der Befreiung Europas vom Nazismus begangen wird. Die Gründe und Voraussetzungen, die Moskau dazu gezwungen haben, diesen Vertrag für die Vertagung eines unvermeidlichen Konflikts mit Hitlers Wehrmacht abzuschließen (wie etwa das Münchner Komplott, Nichtangriffspakte zwischen Deutschland und England sowie Deutschland und Frankreich, der Anschluss Österreichs, die Beschwichtigungspolitik gegenüber Nazideutschland, außenpolitische „Manöver“ der polnischen Vorkriegsregierung und Vieles mehr), werden von einzelnen politischen Kräften in Deutschland unverhohlen verschwiegen. Sie hätten offensichtlich nichts dagegen, zumindest einen Teil der schweren historischen Last Deutschlands als alleinigen Anstifters des blutigsten Konflikts in der Geschichte der Menschheit unserem Land aufzubürden. Deren Bestrebungen und Handlungen sind recht transparent. Wir hoffen darauf, dass das neue Dokumentationszentrum nicht für diese Zwecke instrumentalisiert wird.“

·   Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) e.V.

·   Deutscher Freidenkerverband e.V.,

·   Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e.V.,

·   Deutsch-Chinesischer Freundschaftsverein e.V. Ludwigsfelde,

·   Deutsch-Russische Freundschaft Sachsen,

·   Komitee arabischer Antifaschisten in Europa,

·   Landesarbeitsgemeinschaft Deutsch-Russische Freundschaft Sachsen,

·   KPD Berlin,

·   Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg