Erich Buchholz ist tot !
Erinnerung an einen Kommunisten, Kämpfer und Humanisten
Was einen Freidenker ausmachen sollte
„Rechtsstaat“ – Eine Bilanz nach 20 Jahren
von Professor Erich Buchholz
Die Freidenker und ihre verschiedenen Vorläufer, so die
Aufklärer, gehörten stets zu den aufgeschlossenen progressiven Kräften der
Gesellschaft. Das war in der DDR nicht anders, unabhängig von einer Einbindung
in politische Parteien oder Organisationen.
Viele von ihnen erkannten – oder erahnten – im Laufe des Jahres 1990 immer
deutlicher, was mit der von Bonn angezielten Annexion der DDR auf die
DDR-Bürger zukommen würde.
Zwei Jahrzehnte nach dem maßgeblichen Datum des „Beitritts“ der DDR „zum
Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland“, dem 3.
Oktober 1990, darf Bilanz gezogen, was dieser Anschluss an die BRD, für die
Bürger der DDR, auch die dortigen Freidenker, brachte.
Soweit in diesem Jahre dazu von maßgeblichen Kräften der BRD, auch Medien,
Meinungsumfragen oder soziologische Teiluntersuchungen vorgelegt werden, um den
Beitritt zu feiern, ist über die politische Absicht hinaus der sie
beherrschende Subjektivismus der Befragten und der Interviewer nicht zu
übersehen. Auch soweit es sich nicht bloß um primitive Hetze gegen die DDR
handelt, tun Freidenker gut daran, solchem Material mit gebührendem Vorbehalt
und mit Skepsis zu begegnen.
Demgegenüber vermag der Jurist eine objektive, über jeden Zweifel erhabene und
jederzeit nachweisbare Bilanz vorzulegen, da er die geschriebenen, für
jedermann nachlesbaren Gesetze, vor allem den Wortlaut des Grundgesetzes (GG)
und der Verfassung der DDR zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung machen kann.
Hier geht es darum, welche Rechte, vornehmlich welche Grundrechte die
DDR-Bürger bis zum 3.10.1990 hatten und auch nach diesem Tage noch behielten,
welche sie nicht mehr haben, und welche sie mit diesem Tage erlangten.
All dies wurde im Einzelnen in meinem in diesem Jahre im Wiljo
Heinen-Verlag erscheinenden Büchlein untersucht; es ist dort nachlesbar. Hier
kann nur ein knappes Resumée wiedergegeben werden.
Danach ist Folgendes als sicher festzustellen:
Grundrechte
Politische und Bürgerrechte haben die DDR-Bürger durch den Beitritt nicht
gewonnen, die diese Grundrechte betreffenden Bestimmungen in den Artikeln 2 –
17 GG und in der DDR-Verfassung von 1968 stimmen
substantiell überein.1 Daher ist auch kein Verlust bei den Grundrechten
eingetreten.
Dabei muss ich aber betonen, dass das umfassende Freiheitsrecht des Art. 2 GG
und das Recht der freien Berufswahl nach Art. 12 GG mangels hinreichender
finanzieller Voraussetzungen für die „Neu-Bürger“ keine praktische Bedeutung
erlangen konnten (wie das die meisten „Alt-Bürger“ schon länger kennen).
Demgegenüber sind massenhafte Rechtsverluste festzustellen: Als erstes nenne
ich den Verlust des umfassenden Grundrechts der politischen Mitwirkung in Staat
und Gesellschaft gemäß Art. 21 und die weitreichenden Rechte der Gewerkschaften
in den Art. 44/45 der DDR-Verfassung.
Demgegenüber reduziert sich die viel gepriesene Demokratie der BRD
erklärtermaßen auf eine „repräsentative Demokratie“, unter prinzipieller
Ablehnung einer unmittelbaren Demokratie, demgemäß auch von Volksentscheiden
auf Bundesebene.2
Diese Demokratie beschränkt sich – im Gegensatz zu der in der DDR allüberall erlebbar gewesenen Demokratie (ob am
Arbeitsplatz, in den Wohngebieten, bei der Vorbereitung von Beschlüssen der
Volksvertretungen, insbesondere von für den Alltag der Bürger wichtigen
Gesetzen) nach dem GG darauf, dass die Bürger alle vier Jahre die ihnen von den
politischen Parteien präsentierten Kandidaten wählen dürfen.3
Mit der Stimmenabgabe erschöpfen die Bundesbürger ihr Wahlrecht – bis zur
nächsten Wahl zum Bundestag!4
In der BRD besteht somit bestenfalls eine „Parteiendemokratie“. Demgegenüber
waren in der DDR nicht nur Vertreter politischer Parteien, sondern auch solche
zahlreicher demokratischer Organisationen (vom FDGB bis zum Kulturbund)
wählbar; die Kandidaten wurden in Volksversammlungen auf „Herz und Nieren“
geprüft; ihnen konnten Wähleraufträge erteilt werden, über deren Erfüllung sie
Rechenschaft abzulegen hatten.
Soziale Menschenrechte
Schwerwiegend sind vor allem die Verluste sämtlicher sozialer, ökonomischer und
kultureller Menschenrechte, die als Grundrechte von der DDR Verfassung
garantiert waren: sie fallen letztlich auch materiell – finanziell enorm ins
Gewicht.
Zu diesen Grundrechten gehörten
als erstes das Recht auf Arbeit (einschließlich gesicherten Arbeitsplatzes und
Lohnes), das die DDR-Bürger vor massenhafter und permanenter
Dauerarbeitslosigkeit bewahrte;
zweitens das Recht auf (praktisch kostenlose) Bildung, und zwar allgemeiner wie
auch beruflicher Ausbildung,
das Recht auf unentgeltliche Versorgung bei Krankheit, Unfall, Invalidität und
im Alter,
das Recht auf (sicheren, bezahlbaren) Wohnraum
und andere mehr.
Angedeutet sei hier nur, dass der dauerhafte Verlust dieser Grundrechte in alle
überschaubare Zukunft – inzwischen über 20 Jahre – sich für jeden einzelnen
DDR-Bürger in einer erheblichen Größenordnung auswirkt (mehrere 1000 Euro€ im
Durchschnitt wären nicht zu hoch gegriffen); für die DDR-Bürger insgesamt
dürfte von finanziellen Einbußen in Milliardenhöhe zu sprechen sein. So sieht
die Wirklichkeit der seinerzeit von Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“
aus!
Darüber hinaus verloren die Bürger ihre bürgernah und bürgerfreundlich, verständlich
und nachvollziehbar gestalteten Gesetze. An deren Stelle traten ganz
überwiegend Gesetze und Gesetzbücher aus der Kaiserzeit – teilweise etwas
modernisiert.
Besonders deutlich ist der Verlust der DDR-Gesetze auf den Gebieten des
Arbeits-, des Wohnungsmiet- und des Familienrechts.
Bereits am 1. Mai 1950 (wenige Monate nach der Gründung der DDR) war ein
maßgeblich von den Gewerkschaften vorbereitetes Arbeitsgesetzbuch erlassen
worden; später folgten aktualisierte Gesetzbücher; alle waren beispiellos
arbeitnehmerfreundlich.
Die BRD hat bis heute kein Arbeitsgesetzbuch. Zwangsläufig dominieren deshalb
im bundesdeutschen Arbeitsrecht Unübersichtlichkeit, Zersplitterung und
Richterrecht; letztlich Zufall und Ungewissheit im Prozess.
Die von diesem Mangel Betroffenen sind die (ökonomisch schwächeren)
„Arbeitnehmer“, davon profitieren die (ökonomisch stärkeren) „Arbeitgeber“. Die
DDR-Bürger als Arbeitnehmer fielen aus einem für sie beispiellos guten Recht in
große Rechtlosigkeit.
Auch das Zivilgesetzbuch (ZGB) mit einem besonders ausgewiesenen
Wohnungsmietrecht, war als Ganzes außerordentlich bürgerfreundlich, das
Wohnungsmietrecht ohne Beispiel mieterfreundlich.
Gemäß der bereits durch die Verfassung von 1949 gewährleisteten
Gleichberechtigung der Frau und der Gleichstellung von ehelichen und
unehelichen Kindern wurde – gemeinsam mit den Bürgern – schrittweise ein sehr
fortschrittliches Familienrecht gestaltet.
Justizsystem
Dem entsprach ein bürgerfreundliches Justizsystem5. Die (staatlichen) Gerichte
in der DDR waren Gerichte des Volkes (die Richter wurden gewählt); die Urteile
wurden tatsächlich „Im Namen des Volkes“ gesprochen. Darüber hinaus sprachen
Gesellschaftliche Gerichte Recht; die Bürger waren in vielen Formen am Wirken
der Justiz beteiligt, um Rechtsstreitigkeiten und Rechtsverletzungen samt den
sie bedingenden sozialen Ursachen dauerhaft zu lösen.
Das Justiz- und Rechtswesen in der DDR war auch deshalb so bürgerfreundlich,
weil die anfallenden Kosten außerordentlich gering waren. Nun fielen die
DDR-Bürger unter ein bürgerfeindliches, undurchsichtiges, kompliziertes und
unverständliches Rechts- und Justizsystem, das in seinen Grundzügen aus der
Kaiserzeit stammt.
Infolge der großen Unübersichtlichkeit und Unverständlichkeit dieses Rechts
muss-ten und müssen sich die DDR-Bürger, um nicht
völlig rechtlos zu bleiben, die Unterstützung eines Rechtsanwalts erkaufen. Sie
werden nun von einer Kostenlawine in Gestalt der Gerichtskosten und der
Anwaltsgebühren überrollt.
So haben sie für den Beitritt „Sonderopfer“ zu erbringen. Der Rückfall in eine
weit zurückliegende Vergangenheit im Gefolge des Anschlusses an die BRD ist für
die DDR-Bürger besonders krass. Es handelt sich um einen in der
Rechtsgeschichte einmaligen Rückfall.
Staat und Kirche
In einem Beitrag für eine Zeitschrift der Freidenker ist die augenfällige
Tatsache hervorzuheben, dass die in Jahrhunderten erkämpfte Trennung von Staat
und Kirche durch die Wiedereinführung der unheiligen Allianz von „Thron und
Altar“6 rückgängig gemacht wurde.
In der DDR hatten sich die beiden christlichen Großkirchen gemäß alten
Forderungen der Arbeiterbewegung7 auf den ihnen als Glaubensgemeinschaft
zukommenden normalen Platz in der Gesellschaft zurückgezogen.
Gem. Art. 49 der DDR-Verfassung hatte jeder Bürger das Recht, sich zu einem
religiösen Glauben – und zwar nicht nur zu einem christlichen! – zu bekennen
und sich in Religionsgemeinschaften zusammenzuschließen. Diese durften ihre
Angelegenheiten in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen
Bestimmungen der DDR selbst ordnen – und zwar auch, wie ihre Mitglieder
Beiträge für ihre Religionsgemeinschaft entrichten.8
Für uns Freidenker und andere Bürger, die sich nicht zum christlichen Glauben
bekennen, ist der Vorgang des Herbstes 1990 besonders bösartig. In dem
riesigen, mehr als 1000 Seiten umfassenden Paket des Ei-nigungsvertrages
(EV) verpackt, wurde auch ein Kirchensteuergesetz der DDR untergeschoben, so
dass mit der Beschlussfassung über den EV auch dieses Gesetz – ohne den
normalen parlamentarischen Gesetzgebungsweg durchlaufen zu haben, in Kraft
trat.9
Erinnern wir uns: Als am 20. September 1990 – keine zwei Wochen vor dem Vollzug
des Beitritts! – das Gesetz zum EV in der Volkskammer zur Abstimmung stand,
hatten deren Abgeordnete nach dem von Bonn diktierten Procedere nur die
Möglichkeit, dem EV en bloc zuzustimmen oder dagegen oder sich der Stimme zu
enthalten. Eine Erörterung des Kirchensteuergesetzes – wie auch anderer im
Paket des EV eingepackter Gesetze – war absolut unmöglich.
Die Problematik und die Gemeinheit dieses Kirchensteuergesetzes der DDR, das
sich nur auf solche „Religionsgesellschaften“ bezieht, die – nach
bundesdeutschem Recht (!)10 – „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ sind,11
gegenüber den DDR-Bürgern bestanden nicht nur in dieser extrem undemokratischen
Art der Gesetzgebung, sondern auch darin, dass DDR-Bürger, die keiner der
beiden christlichen Großkirchen angehörten, nach den Vorschriften dieses
Kirchensteuergesetzes12 grundlos finanziell belastet wurden.
Wie in der BRD usus übernahm der Staat – in Gestalt
seiner Finanzämter – für Fremde, für die Kirchen, kostenlos eine behördliche
Dienstleistung mit allen steuerrechtlichen Konsequenzen13 zu Lasten der Bürger.
Hinzu kam, dass bezüglich der Kirchensteuerzahlungspflicht eine Umkehr der
Beweislast eingeführt wurde.
Normalerweise haben Vereinigungen die Nachweispflicht dafür, dass jene, von
denen man Geld haben möchte, diesem Verein rechtskräftig beigetreten und nicht
rechtskräftig ausgetreten sind.
Nach dem Kirchensteuergesetz ist es faktisch umgekehrt: Der Bürger muss
nachweisen, dass er in einem traditionell christlichen Land14 keiner der beiden
(christlichen) Großkirchen angehört.
Da viele DDR-Bürger (und erst recht ihre Kinder) niemals einer dieser beiden
Großkirchen angehört hatten, besaßen sie selbstverständlich keine Urkunde,
keinen Beleg über einen Austritt aus der Kirche. Kraft des EV gerieten aber
alle DDR-Bürger unter die Vermutung (Generalverdacht?), „der Kirche“
anzugehören oder – irgendwann einmal – angehört zu haben.
Tatsache ist, dass viele DDR-Bürger durch dieses Kirchensteuergesetz eine Menge
von Problemen und Kosten hatten, um gegen die Unterstellung
Kirchenmitgliedschaft angehen zu können. Ja, sogar arbeitslos Gewordenen wurde
und wird automatisch Kirchensteuer abgezogen, ein Versuch, sich dagegen
gerichtlich zur Wehr zu setzen, schlug fehl.
Diese völlig undemokratische und abartige Gesetzgebung ist ein besonders
eklatantes Beispiel für die wiedererstandene unheilige Allianz von Altar und
Thron, der die DDR-Bürger ungefragt diktatorisch unterworfen wurden. Wir haben
es – muss man aussprechen – gegenüber den DDR-Bürgern mit einer spezifischen
„Bestrafung“ derjenigen zu tun, die es gewagt hatten, nicht einer der beiden
christlichen Großkirchen anzugehören oder angehört zu haben.
Demgegenüber erleben wir seit 1990, ebenfalls auch zulasten der DDR-Bürger,
eine beispiellose Privilegierung dieser beiden christlichen Großkirchen durch
den Staat. Dass die Medien über die Kirchen in einem völlig unverhältnismäßigen
Umfang berichten, als wären fast alle Bürger dieser Republik gläubige Christen,
rundet das Bild ab. Wir DDR-Bürger sind im Gefolge der Annexion unseres Staates
genötigt, in einem de facto christlichen Religionsstaat zu leben!
Schule und Kirche
Ein weiteres Beispiel für den ganz massiven historischen Rückfall in die
Kaiserzeit ist im Bereich des Schulwesens festzustellen. Das GG und die
Bundesrepublik haben beim Schulwesen nicht an die Errungenschaften der Weimarer
Republik und ihrer Verfassung angeknüpft.
Zwar werden im Grundgesetz bezüglich der Religionsgemeinschaften durch Art. 140
die einschlägigen Bestimmungen der Weimarer Verfassung (Art. 136 – 139 sowie
141)15 wiederholt und deren Geltung unter dem Grundgesetz bekräftigt. Mehr aber
auch nicht!
In der DDR war gemäß dem Prinzip der Trennung von Staat und Kirche und der
Gewährleistung der Glaubensfreiheit im Art. 39 unsrer Verfassung
selbstverständlich, dass Religionsunterrichts nach Belieben von den kirchlichen
Gemeinschaften außerhalb der Schule in den Räumen der Kirche durchgeführt
werden konnte und wurde. Diese den Ideen der Aufklärung gemäße
Selbstverständlichkeit war in der DDR Realität.
Nun wurde wieder ein System eingeführt, das aus der Kaiserzeit stammt; denn die
Weimarer Republik hatte ausdrücklich weltanschauliche Schulen zugelassen und
arbeiten lassen, bis die Nazis sie 1933 verboten.
Der praktizierte (christliche) Religionsunterricht wird ja nicht als Lehre über
Religionen, ihre Entstehung und die Religionsgeschichte durchgeführt, sondern
als „Christenlehre“, als Glaubenslehre, als Verbreitung eines Glaubens.
Dergleichen „Lehre“ kann niemals Gegenstand eines wissenschaftlich begründeten
Unterrichts sein und hat daher an staatlichen Schulen nichts zu suchen.
Wird er dort zugelassen, ist dies der Beweis, dass dieser Staat ein
(christlicher) Religionsstaat ist!
Das GG selbst erklärt sich dazu nicht! Verschämt übernimmt es aus der Weimarer
Reichsverfassung (per Art. 140 GG) den Art. 137 Abs. 1 mit der klaren Aussage:
„Es besteht keine Staatskirche.“
In namhaften Kommentaren ist zu lesen: „Das Verhältnis von Staat und Kirche
steht in einer spezifisch deutschen16 geschichtlichen Kontinuität. Es ist nicht
durch strikte Trennung und Indifferenz (Laizismus), sondern durch eine
‚balancierte Trennung‘ gekennzeichnet.“ Das lasse Raum für „wechselseitige Zugewandtheit“ und Kooperation!
Wie auch bei anderen bundesdeutschen juristischen Aussagen in Gesetzen und
Richtersprüchen werden klare Worte vermieden. Man scheut sich, im 21.
Jahrhundert zuzugeben, welchen ganz offiziellen Einfluss „die Kirche“, d. h.
die beiden christlichen Großkirchen, im Staat und auf ihn hat!
Im Schulwesen gilt in den Ländern Bremen und Berlin, die damals am 1.1.1949
eine andere Regelung hatten, die Ausnahmeregelung des Art. 141, die sog. Bremer
Klausel; nur in diesen – aus der Reihe tanzenden – beiden Ländern ist
Religionsunterrichts kein ordentliches Lehrfach.
Im Übrigen ist in der BRD nach Art. 7 Abs. 3 GG Religionsunterricht in
öffentlichen Schulen (mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen) ordentliches
Lehrfach! Das muss man sich im einundzwanzigsten Jahrhundert vor Augen führen!
Der Rückfall in die Vergangenheit, die Kaiserzeit ist unübersehbar.
Der Rückfall kommt auch darin zum Ausdruck, dass Art. 7 Abs. 4 GG das Recht zur
Errichtung von privaten Schulen ausdrücklich gewährleistet.
Auch ohne besondere soziologische Analyse liegt auf der Hand, dass Schüler
privater Schulen solche sind, deren Eltern diesen besonderen, kostspieligeren
Schulbesuch zu bezahlen vermögen; die private Schule dient als solche der
Aufrechterhaltung der sozialen Unterschiede und Gegensätze.
Lediglich die Vorschulen der Kaiserzeit, d. h. jener Schulen, die privilegierte
Kinder an Stelle der Volksschulen unmittelbar zum Gymnasium oder
gleichgestellten höheren Lehranstalten führen, bleiben, wie bereits durch die
Weimarer Verfassung abgeschafft.
Es ist daher festzustellen:
Über den enormen Rechtsverlust für alle DDR-Bürger hinaus, der einen
gravierenden Rückfall in die Kaiserzeit markiert, haben die Freidenker der DDR
und alle nicht an die Religionen der beiden christlichen Großkirchen gebundenen
Bürger des Beitrittsgebietes zusätzliche gravierende Nachteile und Verluste im
Gefolge der Annexion der DDR durch die BRD erlitten.
Müssen wir Freidenker nun an unsere Bestrebungen und Kämpfe der Kaiserzeit
anknüpfen, um wenigstens das zu erreichen, was uns schon Weimar bot?
Prof. Dr. Erich Buchholz war erster Berliner Landesvorsitzender des Verbandes
der Freidenker der DDR und ist Mitglied des DFV Berlin
Anmerkungen
1 Natürlich ist die Zuordnung und Einbindung der betreffenden Grundrechte
unterschiedlich wie auch die Terminologie.
2 Nach Art. 29 GG sind auf Bundesebene Volksentscheide nur in Fällen der
Neugliederung des Bundesgebietes, wenn es um Länder geht, vorgesehen.
3 Die dann gewählten Abgeordneten sind nach Art. 38 GG nicht an Aufträge
gebunden, auch nicht an solche ihrer Wähler, und nur ihrem Gewissen(!!?)
unterworfen.
4 Sie geben ihre Stimme im Wahllokal wie einen Mantel an der Garderobe ab. (Tucholski).
5 Näheres dazu siehe in „Justizsystem“, ebenfalls im Wiljo
Heinen-Verlag 2010.
6 Die Stelle des „Thrones“ von Kaisern und Königen haben vornehmlich
CDU-Kanzler, jüngst eine Pfarrerstochter als Kanzlerin, eingenommen.
7 Ich nenne hier nur das Erfurter Programm der SPD von 1891.
8 Dabei darf nicht vergessen werden, in welchem erheblichen Umfang der Staat
DDR finanzielle Aufwendungen für die Kirchen erbrachte, für den Wiederaufbau
ihrer durch den Krieg zerstörten Kirchen, für die Ausbildung von Theologen usw.
9 Dieses Gesetz ist wie auch einige andere Gesetze – nicht in einem
ordnungsgemäßen gesetzgeberischen parlamentarischen Verfahren vorbereitet
worden, sondern den Abgeordneten der letzten Volkskammer buchstäblich
untergeschoben worden. Dieses Gesetz war also überhaupt kein Gegenstand
parlamentarischer Aufführung, wurde aber in Kraft gesetzt.
10 Auch in dieser Vermischung der Rechtsordnungen der DDR und der BRD kommt die
Ungeheuerlichkeit dieses Gesetzes zum Ausdruck: In einem Gesetz der Noch-DDR
werden elementare Begriffe des bundesdeutschen Rechts zur Grundlage der
weiteren Regelungen genommen!
11 Außer den beiden christlichen Großkirchen werden auch die „jüdischen
Kultusgemeinden“ dazu gerechnet.
12 Dazu gehört z. B. auch die gesetzliche Verpflichtung des „Arbeitgebers“ zur
Einbehaltung und Abführung der Kirchensteuer ihrer „Arbeitnehmer“ an die
Finanzämter. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten wurde durch § 14
zugelassen. Nach § 20 war dieses Noch-DDR-Gesetz ab 1.1.1991 zu vollziehen!
13 Bei einer „Steuer“ – die nicht nur ein nach dem Privatrecht BGB) zu
entrichtender Mitgliedsbeitrag ist – unterfällt der Bürger allen Konsequenzen
einer Verletzung des Steuerrechts, etwa im Fall des Verschweigens steuerlich
erheblicher Angaben, ggfs. einer steuerrechtlichen Strafbarkeit.
14 Wovon die Präambel des GG mit dem christlich motivierten Einleitungssatz „Im
Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott“ ( Allah und andere Götter anderer
Religionen sind ja offensichtlich nicht gemeint!) ausgeht.
15 Der ausgelassene Art. 140 der Weimarer Reichsverfassung lautet: „Den
Angehörigen der Wehrmacht ist die nötige freie Zeit zur Erfüllung ihrer
religiösen Pflichten zu gewähren.“
16 Die DDR, die insoweit nur die Forderungen der deutschen Arbeiterbewegung
verwirklichte, ist also nicht deutsch; sie wurde ja
stets als etwas Fremdes am deutschen Volkskörper desavouiert!
Quelle:
Eine online-Fassung findet sich hier:
https://www.freidenker.org/?p=386