Vortrag auf der
Solidaritätsveranstaltung mit Rußland und China am 30. Oktober 2018
Einige Aspekte der Beziehungen zwischen China, Rußland und
Lateinamerika von Dr. Winfried Hansch/Gerhard Mertschenk
Auch wenn es im Vortrag selbst
dann noch zum Ausdruck kommt, ist vorab ausdrücklich anzumerken, daß alles, was
zu China und Rußland und deren Beziehungen zu Lateinamerika gesagt wird, unter
dem Aspekt des heutigen Abends zu sehen ist, d.h. Bewahrung des Friedens,
Förderung einer gleichberechtigten Zusammenarbeit und der Solidarität im Sinne
einer Multipolarität in der Welt. Diese Multipolarität ist nötig, um die
Kriegsgefahr zu bannen, die von einer hegemonialen Macht ausgeht, die sich in
einer unipolaren Welt in ihrer Überlegenheit sonnt und dazu neigt, auch
kriegerische Mittel zur Durchsetzung ihrer hegemonialen Ansprüche
durchzusetzen.
Und nun zum eigentlichen Thema
mit einer kleinen Anekdote zu Beginn eingedenk dessen, dass wir hier als
Vertreter der Alexander-von-Humboldt-Gesellschaft auftreten.
Daß Alexander von Humboldt als zweiter Entdecker Lateinamerikas gilt, ist allgemein bekannt. Aber daß er auch in China weilte, ist weitgehend unbekannt. Wenige Jahre nach seine Rückkehr von seiner fünfjährigen Südamerika 1804, hoffte er 1809 auf eine Reise nach Kalkutta. 1812 bereitete er eine Reise von 6 bis 8 Jahren nach Sibirien und China vor, für die er jedoch keine Geldgeber fand. Außerdem versagte ihm die EAST INDIA COMPANY mehrmals eine Reisegenehmigung nach Indien und Asien. 1829 nahm er dann eine Einladung des Finanzministers des russischen Zaren, Georg Cancrin, für eine Forschungsreise nach Sibirien an. Während dieser achteinhalbmonatigen Russland–Reise betrat er am 17. August bei Baty am Fluss Irtysch den Boden Chinas. Er genoss diesen einen Tag in China. Endlich war er in China, „im himmlischen Reich“, wie er selber es nannte (Alexander Humboldt, Fragmente Asien, 1832, S. 5).
Heutzutage unterhält die
Volksrepublik China umfangreiche politische Beziehungen zu vielen Ländern
Lateinamerikas, insbesondere zu den ALBA-Staaten. Die Entwicklung dieser
Beziehungen begann bereits in den 1990er Jahren. Heute nimmt der Kontinent in
den außenpolitischen Beziehungen Chinas eine hervorgehobene Stellung ein, die
durch Grundsatzdokumente und zahlreiche Wirtschaftsvereinbarungen untersetzt
ist. Auf dem Treffen von Regierungsvertretern Chinas und mehrerer Staaten
Lateinamerikas 2014 in Brasilia wurden eine Erweiterung und Vertiefung des politischen
Dialogs, Konsultationen zu internationalen Fragen sowie eine integrale
Kooperation in nahezu allen Bereichen vereinbart.
Diesem Treffen folgte bereits
im Januar 2015 in der chinesischen Hauptstadt Beijing das erste offizielle
Treffen zwischen China und der Konföderation der Lateinamerikanischen und
Karibischen Staaten (CELAC). Eine "Erklärung von Beijing" fasste die
gemeinsamen Interessen und Ziele zusammen, die in einem Fünfjahresplan
berücksichtigt werden sollen. Zentral sind dabei die drei "Motoren" Investition,
Handel und Kooperation.
Neben den geplanten
Investitionen vergab China bei dieser Gelegenheit Darlehen in Höhe von zehn
Milliarden US-Dollar zu Vorzugsbedingungen. Zugleich wurde ein
Kooperationsfonds mit fünf Milliarden US-Dollar eingerichtet. Bei seiner
Begrüßungsrede bekräftigte Chinas Präsident Xi Jinping die Absicht, die
Kooperation auf der Basis von Gegenseitigkeit, gemeinsamer Entwicklung und zum
kollektiven Wohl zu entwickeln. Vorgesehen wurde zudem ein stärkerer
wissenschaftlicher und kultureller Austausch. So stellte China 5.000 Stipendien
für Studenten aus den CELAC-Mitgliedsländern zur Verfügung.
Bezüglich der internationalen
Politik wurden gemeinsame Interessen bei der Demokratisierung der
internationalen Beziehungen, der Klimapolitik und der Reform des internationalen
Finanzsystems betont. Ebenso wie China hat Lateinamerika ein ausgeprägtes
Interesse daran, die Dominanz der USA auf der globalen Ebene zu beseitigen und
eine multipolare Weltordnung zu fördern.
In Fortsetzung dieser Politk
fand im Januar 2018 das zweite Forum CELAC-China, dieses Mal in Santiago de
Chile, statt, auf dem ein gemeinsamer Aktionsplan für die Jahre 2019 – 2021
verabschiedet wurde. Der Schwerpunkt liegt auf der Schaffung einer großen
transozeanischen Transportroute als Teil der Neuen Seidenstraße - darunter
Großprojekte wie der interozeanische Kanal durch Nicaragua, eine
transozeanische Eisenbahn von Brasilien über Bolivien nach Peru oder eine
Hochspannungsleitung vom Norden bis zum Süden des Kontinents - und dem Aufbau
einer fortschrittlichen, diversifizierten und unabhängigen Industrie in
Lateinamerika.
Für China ist Lateinamerika
als Lieferant von Rohstoffen und Agrarprodukten von großer Bedeutung – aber
auch als strategischer Handelspartner, als politischer Partner sowie als Partner
in der Süd-Süd-Kooperation. Der Kontinent orientierte sich besonders angesichts
der konfrontativen Außenpolitik der USA unter Präsident George W. Bush (2001 –
2009) zunehmend auf multilaterale Konzepte, auf andere Großmächte. In den
Ländern Lateinamerikas wird China sowohl als Mitgestalter einer neuen
Weltordnung wie auch als verlässlicher Partner mit einer stabilen Führung sehr
geschätzt.
Und mit über 120 Milliarden
US-Dollar ist China seit 2005 der wichtigste Investor in Lateinamerika. Die
Direktinvestitionen Chinas in der Region liegen bei über 25 Milliarden
US-Dollar, Lateinamerika liegt damit an zweiter Stelle der chinesischen
Auslandsinvestitionen. China beabsichtigt, über 200 Milliarden US-Dollar in
Lateinamerika zu investieren.
China gilt zudem als stabiler
Käufer für Exportgüter vieler Länder Lateinamerikas. Allein im Jahr 2017
verzeichnete Lateinamerika einen Anstieg der Exporte nach China um 23 Prozent,
damit war das asiatische Land wichtigstes Ziel seiner Exportgüter. Die Importe
aus China sind um 30 Prozent gestiegen. Der Handelsaustausch des Jahres 2017
zwischen beiden Seiten betrug rund 266 Milliarden US-Dollar.
Der Handelsaustausch zwischen
China und den CELAC-Staaten soll bis 2025 auf 500 Milliarden US-Dollar steigen.
In den letzten zehn Jahren hat
China in der Region 141 Milliarden US-Dollar an Ressourcen bereitgestellt
‒ mehr als die Summe, die die Länder der Region von Institutionen wie der
Interamerikanischen Entwicklungsbank oder der Weltbank erhalten haben.
Große Projekte im Verkehrswesen,
in der Energieversorgung und Industrieentwicklung haben für viele
lateinamerikanische Länder strategische Bedeutung und bringen auch bürgerlichen
Kräften enorme Vorteile. China wird von vielen Staaten Lateinamerikas als
Partner bei der Umwandlung ihrer Produktionsstruktur angesehen. Als Sicherheit
für Darlehen akzeptiert das Land in großem Umfang künftige Rohstofflieferungen.
China bietet den Ländern Lateinamerikas eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe an.
Vor allem die ALBA-Staaten sehen in der Volksrepublik China auch einen Partner
bei der Entwicklung eines alternativen Gesellschaftsmodells.
Bei den Exporten der Staaten
Lateinamerikas nach China überwiegen meist Rohstoffe, so bei
Chile: Kupfer und Zellulose
(85 Prozent des Exportvolumens), Kolumbien: verschiedene Rohstoffe (90
Prozent), Ecuador: Erdöl (80 Prozent), Peru: Metalle (93 Prozent). Andere
Länder haben ein anderes Exportprofil erreicht, z. B. Costa Rica
(Microprozessoren, 95 Prozent) oder Mexiko (Industrieprodukte und bearbeite
Agrarprodukte, 50 Prozent).
Kuba exportiert Produkte der
Biotechnologie nach China und bietet Ausbildungsplätze für 1 500 Studenten und
Doktoranden aus China an.
Über einen Technologietransfer
nach China und lateinamerikanische Investitionen im Reich der Mitte gibt es
leider nur sehr wenige Informationen.
Einige Kooperationen zwischen
Ländern Lateinamerikas und China seien hier besonders benannt:
In Brasilien war nach der
Übernahme der Regierung durch die Gruppe um Michel Temer eine Rückkehr in alte
Bündnisse sowie eine Wiederannäherung an die USA festzustellen. Trotzdem sind
die umfangreichen Beziehungen mit China fortgeführt worden. Die Volksrepublik
ist der größte Handelspartner Brasiliens (2016 – 18,9 %), gefolgt von der EU
(18,2 %), den USA (12 %) und Argentinien (10 %). Brasilien will aber den
Handelsaustausch mit China nicht über 20 Prozent steigen lassen. Auch der neue
Präsident Jair Bolsonaro wird sich den ökonomischen Sachzwängen nicht entziehen
können. 2017 gingen 79% der Sojaernte Brasiliens nach China. Es bleibt
abzuwarten, welch konkrete Politik er gegenüber China einschlagen wird, wobei
die Außen-/internationale Politik und die Handelspolitik durchaus
unterschiedlich gehandhabt werden können.
In Argentinien ließ der seit
Dezember 2015 amtierende neoliberale Präsident Mauricio Macri alle Verträge mit
China überprüfen, um sich von „dieser Abhängigkeit“ zu befreien. In den
Verträgen vorgesehene Sanktionen bei Nichteinhaltung der Vereinbarungen
stoppten jedoch Macris Anti-China- Vorhaben.
In Bolivien hat China u. a.
422 Millionen US-Dollar in das Eisenhüttenwerk „El Mutún“ investiert. Für
Präsident Morales ist das ein „Beispiel für die Weiterverarbeitung der
Bodenschätze des Landes unter Kontrolle des Volkes“. Bemerkenswert ist die
berufliche und universitäre Ausbildung des bolivianischen Personals in China
und anderen Ländern. Und kürzlich nahm der mit chinesischer Hilfe entwickelte
und ins All geschossene Satellit Túpac Katari seinen vollen Dienst auf. Er
deckt nunmehr das gesamte Territorium Boliviens ab und ermöglicht somit die
Datenübertragung, Radio- und Fernsehübetragungen auch in unwegsames Gelände.
In Venezuela stieg während der
Regierungszeit von Hugo Chávez (1999 – 2013) der Handelsaustausch mit China von
350 Millionen auf 19 Milliarden US-Dollar. China hat sich für Venezuela als
zuverlässiger Partner und solidarischer Unterstützer in politischer und
wirtschaftlicher Zusammenarbeit erwiesen. 2015 erhielt Präsident Maduro in
Peking eine Zusage für Investitionen in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar. Zukunftsweisend
ist die Umrüstung von Raffinerien in China für Erdöl aus Venezuela. Beide
Regierungen orientieren sich in der strategischen gesellschaftspolitischen
Ausrichtung auf ein nichtkapitalistisches Modell.
Die Beziehungen zwischen Kuba
und China spielten und spielen eine besondere Rolle. 1986 reduzierte die
Sowjetunion unter Gorbatschow die Hilfen für Kuba, 1990 verlor Kuba mit dem
Zusammenbruch des Sozialismus in Europa seine Haupthandelspartner. Ohne die Unterstützung
aus China wäre der Überlebenskampf Kubas in der „Spezialperiode“ noch härter
geworden.
Die Zusammenarbeit beider
Länder ist von großem Vertrauen sowie einem tiefen Verständnis für die
sozialistische Entwicklung der jeweils anderen Seite getragen. Die
kommunistischen Parteien beider Länder pflegen einen regelmäßigen Austausch
über Theorien der gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung. Vieles in den
Beziehungen beider Länder ist nur unter dem Blickwinkel der Solidarität und
eines gemeinsamen Standpunktes gegenüber dem Agieren der Großmacht USA zu
verstehen. Beide Länder unterstützen sich in besonderem Maße beim Kampf gegen
die Einmischung fremder Staaten und bei der Bewahrung ihrer
Souveränität.
China hilft in vielen Sektoren
bei der Entwicklung der kubanischen Industrie. Die Volksrepublik ist der größte
Käufer von kubanischem Zucker, liefert Traktoren, Fahrzeuge, Eisenbahnwaggons
und Lokomotiven. Der Neubau des Hafens von Santiago de Cuba, die
Lizenzproduktion von Laptops, die Erkundung von Ölfeldern und die Beteiligung
Chinas in der Sonderwirtschaftszone Mariel sind Beispiele dieser engen
Kooperation. Neu sind chinesische Investitionen im Tourismus. Weltspitze hat
die Zusammenarbeit mit Kuba im Bereich Biotechnologie und Pharmazie erreicht.
China ist mit 2,2 Milliarden US-Dollar heute der größte Handelspartner Kubas.
Wie werden sich die
Beziehungen Chinas zu Lateinamerika weiter entwickeln? Präsident Xi Jinping
bereiste im November 2016 bereits zum dritten Mal mehrere Länder des
Kontinents, was das dauerhaft große Interesse Chinas an der Region belegt.
Übermorgen tritt der kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel eine Reise nach
Asien an, in deren Verlauf auch China besucht. Vielleicht führen die
Forderungen von US-Präsident Trump nach Neuverhandlungen von Verträgen zwischen
den USA und den Ländern des Kontinents auch dazu, dass sich die Beziehungen
zwischen Lateinamerika und China noch enger gestalten.
Auch Russland wird in Lateinamerika als Global Player
anerkannt.
Die Intensivierung der langfristigen und vielfältigen
Beziehungen Rußlands zu Lateinamerika hat vor allem politische Bedeutung, denn
in puncto Wirtschaftsstärke reicht Rußland nicht an China heran. Günstig wirkte
sich der Linksruck Lateinamerikas zu Beginn der 2000er-Jahre aus. Für Rußland
sind diese Verbindungen eine Möglichkeit zu zeigen, dass der globale Einfluss
Russlands wieder so stark ist wie zu Zeiten der Sowjetunion und es sich vom
Westen nicht auf eine Regionalmacht reduzieren lässt. Gute Verbindungen zu
Ländern in der westlichen Hemisphäre sind zudem dazu angetan, der vom Westen
gewollte Isolierung Russlands auf internationaler Ebene zu begegnen. Zugute
kommt den Bemühungen Rußlands um gute Beziehungen zu Lateinamerika dabei ein
gewisses Vakuum, das die US-Administration in Lateinamerika in den letzten
Jahren hinterlassen hatte, da es zu sehr mit anderen Weltregionen beschäftigt
war.
Was Handelsumfang, Kreditvergabe und Investitionen
betrifft, bleibt Russland in Lateinamerika weit hinter China zurück. Die
Zusammenarbeit Russlands mit Lateinamerika zeichnet sich dadurch aus, dass sie
sich auf einige wenige Länder und Wirtschaftssektoren, insbesondere den
Energie- und Erdölsektor, konzentriert. Als Besonderheit ist zu registrieren,
dass als Reaktion auf die Sanktionen des Westens gegen Russland die Exporte von
Nahrungsmitteln aus Lateinamerika erhöht wurden, so z.B. Fleisch aus Chile,
Agrarprodukte aus Brasilien, Argentinien und Mexico.
Besonders eng sind die Verbindungen zu Kuba, Nicaragua und
Venezuela. In den beiden erstgenannten Ländern werden Bodenstationen des
russischen weltumspannenden GLONASS-Navigationssatellitensystem errichtet.
Die traditionell engen Beziehungen zu Kuba, die unter
Gorbatschow und Jelzin stark zurückgefahren wurden, werden nun wieder
aktiviert. 2017 unterschrieben beide Regierungen zahlreiche Vereinbarungen über
Kooperationen. Im Zentrum stehen dabei der Energiesektor, der Eisenbahnbau, die
Nahrungsmittel- sowie die Textilindustrie. Zwar sind die wichtigsten
Handelspartner Kubas noch immer China und Venezuela, aber Russlands Anteil
steigt beständig. Besonders erwähnt werden sollte, dass Rußland Kuba 90% seiner
Schulden aus der Zeit der Sowjetunion erlassen hat (ca. 30 Milliarden Dollar).
Auf seiner schon erwähnten Asien-Reise ab übermorgen (1. November 2018) wird
der kubanische Präsident Díaz-Canel auch Rußland einen Besuch abstatten.
Zugenommen hat auch die wirtschaftspolitische Bedeutung der
Kooperation Russlands mit Venezuela, dort vor allem im Erdöl- und
Energiesektor.
Derzeit wichtigster Handelspartner Russlands in
Lateinamerika ist jedoch Brasilien. Insbesondere unter der linksgerichteten
Regierung von Lula da Silva intensivierten sich neben den ökonomischen auch die
politischen Beziehungen mit dem Ziel, eine multipolare Weltordnung zu etablieren.
Die umstrittene rechtskonservative Regierung von Präsident Michel Temer
verfolgt zwar keine derartigen geopolitischen Ziele, aber der Handel mit
Russland blüht dennoch. Wie es jetzt unter Bolsonaro weitergehen wird, kann
noch nicht eingeschätzt werden.
Ähnlich ist das Verhältnis zu Argentinien: Suchte
Ex-Präsidentin Kirchner die Nähe zu Rußland noch aus ideologisch-politischen
Gründen, so steht für ihren Nachfolger Mauricio Macri der Handel gänzlich im
Vordergrund.
Derzeit werden nur noch wenige lateinamerikanische Länder
von Mitte-links-Regierungen regiert. Diese werden jedoch ihre Beziehungen zu
China und Russland weiterhin ausbauen, um ihre Selbstständigkeit und
Souveränität zu zeigen und zu bewahren. Die in einigen Ländern an die Regierung
gekommenen konservativen und neoliberalen Regierungen betrachten ihre
Beziehungen zum Rest der Welt hingegen in erster Linie unter
außenhandelspolitischen Gesichtspunkten. Von diesem Standpunkt aus sind gute
Beziehungen sowohl zu den traditionellen westlichen Industrieländern als auch
zu deren Gegenspielern gleichzeitig möglich, ohne politische Kosten befürchten
zu müssen.
Unter dem USA-Präsidenten Trump ist die Monroe-Doktrin aus
dem Jahre 1823 wiederbelebt worden. Während sich aber die Monroe-Doktrin ursprünglich
gegen Europa richtete, so zielte der damalige US-Außenminister Tillerson
nunmehr unverhohlen auf die Präsenz Russlands und Chinas als er ausführte:
»Lateinamerika braucht keine neuen imperialen Mächte, die nur ihre eigenen
Interessen im Blick haben. Die Vereinigten Staaten sind anders: Wir suchen
keine kurzfristigen Vereinbarungen mit asymmetrischen Gewinnen, wir suchen
Partner.« Solche der Realität Hohn sprechenden Äußerungen sorgten in
Lateinamerika – selbst bei konservativen Regierungen - für Unbehagen und
Unverständnis, wurden als Ausdruck von Arroganz und Missachtung interpretiert,
und geben China und Rußland umso mehr Veranlassung, sich als Partner der
lateinamerikanischen Länder auf gleicher Augenhöhe zu präsentieren.
Rußland hat formell einen Beobachterstatus beim von acht
zentralamerikanischen Staaten gebildeten Zentralamerikanischen
Integrationssystems (SICA) beantragt und wurde zudem eingeladen, sich als
Partnerstaat an der Zentralamerikanischen Bank für Wirtschaftsintegration
(BCIE) zu beteiligen.
Ein wichtiges Instrument der
russischen Annäherung an Lateinamerika ist der Fernsehkanal Russia Today auf
Spanisch. Im Vergleich mit anderen ausländischen Sendern ist RT sehr
erfolgreich in der Region. Das politische Modell Russlands wird als eine
effiziente Alternative zur neoliberalen Demokratie dargestellt.
Vereinzelt treten China und Russland in Lateinamerika
handelspolitisch auch als Wettbewerber gegeneinander auf. Unter strategischen
Gesichtspunkten ergänzen sie sich jedoch gegenseitig. Zwar kommt es bisher
nicht zu einer expliziten Zusammenarbeit beider Staaten in der Region, aber man
sollte auch nicht ihr Zusammenwirken im Rahmen der BRICS-Staaten vergessen.
Im
September vorigen Jahres haben sich die teilnehmenden Staaten (Brasilien,
Russland, Indien, China und Südafrika) u.a. auf offene
Weltwirtschaftsbeziehungen und die Ankurbelung ihrer Volkswirtschaften
geeinigt, die ihre Zusammenarbeit und den Ausbau der Süd-Süd-Beziehung weiter
stärken sollen. Auf diese Weise sollen auch lateinamerikanische Länder, die
nicht Teil der Brics-Staaten sind, von einer nachhaltigen Entwicklung
profitieren können.
Auf dem BRICS-Treffen im Juli dieses Jahres sprachen Xi
Jinping und Putin von einer "echten strategischen Partnerschaft"
hinsichtlich von Handel und Investitionen nach den Regeln der WTO, was
eindeutig gegen den von Trump beförderten Protektionismus für US-Waren
gerichtet war.
Von besonderer Bedeutung ist die Absicht Chinas, mit einem
Rohölterminkontrakt den so genannten Petro-Yuan einzuführen, der in Gold
umwandelbar ist. Der Vertrag wird es den Handelspartnern des Landes
ermöglichen, mit Gold zu zahlen oder Yuan in Gold umzutauschen, ohne dass es
notwendig wäre, Geld in chinesischen Vermögenswerten zu halten oder in
US-Dollar umzuwandeln. Diese neue Transaktionsform
soll es Öl-Exporteuren wie Russland, Iran oder Venezuela künftig ermöglichen,
US-Sanktionen beim Handel mit Öl in Yuan zu umgehen. Langfristig ist es auch
darauf ausgelegt, die Rolle des US-Dollars als Leitwährung zu beenden.
Auch sollte die Etablierung
einer eigenen BRICS-Entwicklungsbank nicht vergessen werden, denn sie gilt als Herausforderung für die vom Westen dominierten
Weltfinanzinstitutionen IWF und Weltbank. Mit ihrer Hilfe werden die
BRICS-Länder Investitionen unter eigenen Konditionen finanzieren können.
Der Institution BRICS kommt
eine große Bedeutung für die Multipolarität in der Welt zu. Allerdings bleibt
auch hier abzuwarten, welche Rolle Brasilien unter Bolsonaro zukünftig bei den
BRICS-Staaten spielen wird. Eine Lähmung oder gar ein Zerfall wäre kein gutes
Zeichen für die weitere Entwicklung in Lateinamerika und dem globalen Süden
allgemein.
Abschließend
ist zu sagen, dass in Lateinamerika das Prinzip der Nichteinmischung in die
inneren Angelegenheiten eines Staates einen hohen Wert hat; es waren vor allem
immer die USA, die sich traditionell in der Region eingemischt haben.
Dieses Prinzip wurde
ausdrücklich auf dem Gipfeltreffen des lateinamerikanischen und karibischen Staatenbund
CELAC in Havanna 2014 bekräftigt, auf dem Lateinamerika und die Karibik als
Zone des Friedens und friedlicher Regelung von Streitigkeiten zwischen den
Staaten und damit frei von ausländischer militärischer Einmischung deklariert
wurde. Diese Erklärung ist eine Fortsetzung des Vertrages von Tlaltelolco aus
dem Jahre 1968, der das Testen, das Stationieren, den Besitz sowie die
Herstellung von Kernwaffen in der Karibik und Lateinamerika verbietet. Damit ist der
lateinamerikanische Subkontinent einzigartig in der Welt. Ein Beispiel, das
Schule machen sollte.
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit