China
Ein Feuerring um China (II) aus German
Foreign Policy vom 23.04.2013
Der zentrale militärpolitische Think-Tank Berlins
kündigt "Planspiele" zu möglichen militärischen Konfrontationen mit
China an. Eine Analyse der "Kampfkraft" der chinesischen Streitkräfte
steht im Mittelpunkt der diesjährigen "Trierer China-Gespräche", zu
denen die "Bundesakademie für Sicherheitspolitik" (BAKS) Anfang Juni
in die deutsche Hauptstadt einlädt. Abschließen wird die Tagung mit zwei
"hypothetische(n) Praxistests", die klären sollen, ob die
Volksrepublik Taiwan oder Inseln im Südchinesischen Meer mit ihrer Armee
"erobern" und "halten" könne. Sowohl im Konflikt um Taiwan
als auch im Konflikt um mehrere Inseln im Südchinesischen Meer sind
Kerninteressen Chinas betroffen. In beiden Fällen haben die USA sich die
Position der Gegner der Volksrepublik zu eigen gemacht; im Falle eines
Waffenganges könnte die NATO und damit der Westen insgesamt unmittelbar
involviert werden. Hintergrund der "Planspiele" ist zudem die sich
schnell ausweitende westliche Militärpräsenz in Ost- und Südostasien. Im
Fahrwasser von Truppen-Stationierungen der Vereinigten Staaten verstärkt auch
Deutschland seine Militärkooperation mit den Ländern Südostasiens -
potenziellen Gegnern Chinas - und steigert seine Rüstungsexporte in die Region.
Chinas Kampfkraft
Für den 6. Juni kündigt die Bundesakademie für
Sicherheitspolitik (BAKS) ihre nächsten "Trierer China-Gespräche" an.
Die Veranstaltung findet - nach 2009 und 2011 - zum dritten Mal statt. Ihren
Namen verdankt sie der Zusammenarbeit der BAKS mit dem vormaligen
Junior-Professor an der Universität Trier Martin Wagener, der im vergangenen
Oktober eine Professur für Politikwissenschaft an der Fachhochschule des Bundes
für öffentliche Verwaltung in München angetreten hat. Wagener gilt als
Ostasien-Experte und ist auch dieses Jahr an der Durchführung der Tagung
beteiligt, die von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Alumni-Verein
der Trierer Universitäts-Politikwissenschaft offiziell mitveranstaltet wird.
Das Thema lautet: "Kampfkraft: Wie leistungsfähig sind die chinesischen
Streitkräfte?"
Die Aufrüstung des Rivalen
Anlass für die Themenstellung ist der BAKS zufolge
das stetige Wachstum des chinesischen Verteidigungshaushalts. Die Volksrepublik
steigert ihre Militärausgaben in der Tat seit Jahren um Raten, die in etwa dem
Wirtschaftswachstum des Landes entsprechen. Wie die BAKS schreibt, plane China
für 2013 eine weitere Ausweitung seines Verteidigungsetats auf ein Volumen von
114,3 Milliarden US-Dollar. Zwar kann sich das Land damit auf absehbare Zeit
nicht mit dem Westen messen: Die jährlichen Militäretats der NATO-Staaten
liegen gegenwärtig nur knapp unter einer Billion US-Dollar - die Verbündeten
der NATO unter anderem in Ostasien und im Pazifik-Gebiet nicht eingerechnet.
Dennoch ist laut BAKS festzustellen, dass es den chinesischen Streitkräften in
den letzten Jahren gelungen ist, eine bemerkenswerte Modernisierung
einzuleiten. So schossen sie im Januar 2007 einen eigenen Wettersatelliten ab.
Damit könne China, heißt es bei der BAKS, "im Kriegsfall" als
einziger Staat außer den Vereinigten Staaten und Russland
"satellitengestützte Aufklärungs- und Navigationssysteme des Gegners
ausschalten".[1] Beijing habe zudem seine Seestreitkräfte "radikal
modernisiert" und verfüge mittlerweile sogar über einen Flugzeugträger.
Marine-Einheiten aus der Volksrepublik nähmen seit einiger Zeit "am
Anti-Piraterie-Einsatz am Horn von Afrika" teil: "Dabei gewinnt die
militärische Führung wichtige Erfahrungen bei der Überbrückung größerer
Distanzen und kann die eigene Durchhaltefähigkeit optimieren."
Chinas Ziele
Die Grundzüge der chinesischen Militärstrategie hat
Ostasien-Spezialist Wagener bereits im Jahr 2010 beschrieben. Demnach sei es
die Aufgabe der chinesischen Streitkräfte, die "Kerninteressen" der
Volksrepublik zu schützen - vor allem die territoriale Integrität des Landes.
Dies betreffe besonders Gebiete wie Tibet oder das westchinesische Xinjiang,
die man im Notfall ebenso gegen Aggressionen verteidigen können müsse wie die
früheren europäischen Kolonien Hongkong und Macao. Die Verteidigung eigenen
Territoriums stehe für Beijing auch in puncto Taiwan sowie beim Streit um
Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer zur Debatte, auf die jeweils andere
Staaten Ansprüche erheben. Darüber hinaus lege Beijing Wert darauf, erklärte
Wagener 2010, den "Schutz und die Autonomie der chinesischen Seewege"
gewährleisten zu können - unter anderem die Passage durch die Straße von
Malakka, über die ein großer Teil des Handels mit Europa, Mittelost und Afrika
abgewickelt werde.[2] Beobachter weisen bereits seit Jahren darauf hin, dass
die Volksrepublik, um ihre Warentransporte auch durch den Indischen Ozean zu
schützen, dort den Ausbau von Häfen fördert ("Strategie der
Perlenkette" [3]). Laut Wagener muss zu diesen Zielen noch das Vorhaben
hinzugerechnet werden, "militärische Abschreckung gegenüber den USA"
zu gewährleisten.[4] Washington hat vor geraumer Zeit ein "pazifisches
Jahrhundert" ausgerufen und orientiert in diesem Rahmen auch seine
Streitkräfte in zunehmendem Maße nach Ostasien - aus chinesischer Sicht eine
klare Bedrohung, zumal Teile des Washingtoner Establishments immer wieder über
einen möglichen Krieg gegen die Volksrepublik diskutieren.[5]
Fulda Gap des 21. Jahrhunderts
Wie weit die - China bedrohende - westliche
Militärpräsenz in Ost- und Südostasien mittlerweile gediehen ist, hat
Ostasien-Spezialist Wagener bereits im Rahmen der letzten "Trierer
China-Gespräche" hervorgehoben. Vor allem die US-Militärpräsenz ähnele
inzwischen "einem 'Feuerring', der präventiv um China gelegt werde und den
Washington im Konfliktfall auch durchaus zu aktivieren gewillt sei", ließ
sich Wagener im Sommer 2011 zitieren.[6] Dass dies grundlegende chinesische Interessen
nicht nur abstrakt, sondern ganz konkret bedroht, zeigt das Beispiel der Straße
von Malakka. Deutsche Spezialisten kamen unlängst zu dem Schluss, "als
wichtigste Verbindungsader" zwischen dem Pazifischen und dem Indischen
Ozean sei die Meerenge nicht nur ökonomisch, sondern auch militärstrategisch
"so wichtig, dass sich die Bezeichnung 'Fulda Gap des 21. Jahrhunderts'
rechtfertigen" lasse. Dabei sei bereits heute "die permanente
US-Präsenz in Singapur", also direkt an der Straße von Malakka, zu
berücksichtigen: Sie mache "die Präsenz der Chinesen im Indischen
Ozean" und damit letztlich die Rohstoffzufuhr und die Exporte des Landes
nach Europa und Afrika "davon abhängig, ob die USA (...) den chinesischen
Transit dulden".[7] Unerwähnt ließen die Spezialisten allerdings die
deutsche Rolle dabei. Berlin baut die militärpolitische Kooperation mit den
Staaten Südostasiens, besonders auch mit den Ländern an der Straße von Malakka,
systematisch aus und beliefert sie in steigendem Maße mit Rüstungsgütern
verschiedenster Art - von Kriegsschiffen bis zu Kampfpanzern (german-foreign-policy.com berichtete [8]).
Hypothetische Praxistests
Die westliche Militärpräsenz im unmittelbaren Umfeld
Chinas gehört zum Hintergrund der Beschäftigung mit den chinesischen
Streitkräften bei den diesjährigen "Trierer China-Gesprächen".
Vorträge und Diskussionen befassen sich mit der Militärpolitik der neuen
chinesischen Staatsspitze und mit den Fähigkeiten der avanciertesten
chinesischen Waffensysteme - vom Flugzeugträger bis zum Stealth-Kampfflugzeug
J-20. Die Tagung schließt mit zwei "Planspielen", die die BAKS als
"hypothetische Praxistests" bezeichnet. "Ist China in der Lage,
Taiwan zu erobern bzw. im Südchinesischen Meer einzelne Inseln zu besetzen und
(!) zu halten?", fragt die BAKS. Den Gegnern Chinas in den jeweiligen
Konflikten hat Washington Beistand in Aussicht gestellt und bekräftigt dies mit
gemeinsamen Manövern sowie mit der Lieferung von Kriegsgerät; an Letzterem
beteiligt sich in zunehmendem Maße Deutschland. Im Falle eines Waffenganges
wäre der Westen wohl unmittelbar involviert. Mit den "Planspielen"
der BAKS bereitet Berlin sich darauf vor.
Quelle:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58585
[1] Trierer China-Gespräche 2013; www.baks.bund.de
[2] Auf dem Weg zur regionalen Militärmacht: Wie stark ist die
Volksbefreiungsarmee Chinas? www.kas.de 05.11.2010
[3] s. dazu Am Indischen Ozean und Offensiven gegen
China (I)
[4] Auf dem Weg zur regionalen Militärmacht: Wie stark ist die
Volksbefreiungsarmee Chinas? www.kas.de 05.11.2010
[5] s. dazu Das pazifische
Jahrhundert
[6] Wettrüsten in Asien? Die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte und
die Reaktionen regionaler Mächte; www.baks.bund.de. S. dazu Ein Feuerring um
China
[7] Felix Seidler: Maritime Machtverschiebungen im Indo-Pazifischen Raum:
Geopolitische und strategische Trends. Kieler Analysen zur Sicherheitspolitik
Nr. 33, Januar 2013. S. dazu Die Pax Pacifica
(III)
[8] s. dazu Die Pax Pacifica (I), Die Pax Pacifica
(II) und Die Pax Pacifica
(III)
[9] Trierer China-Gespräche 2013; www.baks.bund.de