Deutschland hat sich 2022 wieder auf falsche Seite der
Geschichte gestellt – Doch wen überrascht es?
von Wladislaw Sankin
Die USA haben ihre Ukraine-Politik im Wesentlichen von Deutschland geerbt.
Genau genommen war es der Nazi-Ideologe Alfred
Rosenberg, der eine Allianz mit den ukrainischen Nationalisten zum Zwecke der
Vernichtung des "Großrussentums"
begründete. Die Anklänge an diese unsäglichen Seiten der deutschen Geschichte
werden nun immer lauter.
Das ausgehende Jahr hat sehr viele Illusionen und Träume unter den Trümmern auf
dem Schlachtfeld Ukraine begraben. Eine davon war die Vorstellung, dass nach
dem Zweiten Weltkrieg eine Aussöhnung zwischen Russen und Deutschen möglich
sei. Auf persönlicher Ebene gab es und gibt es sie – tausendfach. Auf
politischer Ebene hat Berlin die deutsch-russische Sonderbeziehung indes
einseitig aufgekündigt. Das war schon lange vorher so gewollt, die deutsche
politische Klasse hat nur lange auf einen Anlass gewartet.
Den Anlass lieferte angeblich Russland selbst, mit seinem Einmarsch in der
Ukraine. Wobei, genaugenommen geschah es noch vor Beginn der russischen
Militäroperation – mit dem höhnischen Grinsen des Bundeskanzlers Olaf Scholz
während seiner Visite in Moskau im Januar 2022, als Wladimir Putin vom Genozid
Kiews an der Bevölkerung des Donbass sprach.
Doch dieser Grund ist konstruiert, wenn man bedenkt, dass die Ukraine im
deutschen geostrategischen Denken seit jeher eine Schlüsselrolle gespielt hat.
Russland wie eine Apfelsine zu zerteilen, angefangen bei der Ukraine, das war
schon die sogenannte Rohrbach-Theorie zu Zeiten des Ersten Weltkriegs. Heute kommt diese
Theorie in der Karte des zerteilten Russlands zum Ausdruck, die im Arbeitszimmer des Chefs der
ukrainischen Militäraufklärung und Selenskij-Vertrauten
Kirill Budanow an der Wand hängt. Dieser Karte
zufolge gehören große Teile im russischen Südwesten zur Groß-Ukraine, und das
Gebiet Kaliningrad zu Deutschland.
Nach Rohrbach war es der Nazi-Ideologe und vom
Nürnberger Tribunal verurteilte Kriegsverbrecher Alfred Rosenberg, der als
Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Adolf Hitler dazu drängte "das
Ukrainertum" zu unterstützen, um "das Großrussentum" zu zerschlagen. Diese Ideen pflegte der
russischsprechende Deutsch-Balte von Anbeginn seiner Karriere bei den
Nationalsozialisten Anfang der 1920er Jahre. Er träumte davon, dass die Sowjetunion als "Manifestation der jüdisch-bolschewistischen
Weltverschwörung" in "ihre einzelnen ethnischen Bestandteile"
zerlegt wird.
Einzelne Völker wie etwa die Esten, die als "Ruthenier"
bezeichneten Weißrussen und besonders die Ukrainer konnten ihm zufolge dabei zu
wichtigen Bundesgenossen der Deutschen im Osten werden. Insgesamt sollte eine
Zusammenarbeit der "arischen" Staaten Deutschland, Italien, England
und eben der "zukünftigen" Ukraine den Schutz der "weißen"
Rasse garantieren.
Wie sehr ähneln diese Überzeugungen doch den Behauptungen der EU-Politiker
heute, dass die tapferen Ukrainer die zivilisierte Euro-Atlantische Welt gegen
das unterentwickelte, despotische Russland am äußeren Rand Europas verteidigen.
Ursula von der Leyen, Olaf Scholz und weitere deutsche Politiker und Medien werden nicht müde, diese
propagandistische Formel bei jeder Gelegenheit zu wiederholen.
Die "Existenzbedrohung" durch die "östlichen Untermenschen"
war auch wichtiger Bestandteil der visuellen Propaganda im Dritten Reich.
Heute, am 30. Dezember, lesen wir im Spiegel und beim RND die Warnungen Witali Klitschkos, des
Lieblings-Boxers der Deutschen, Russland könne auch in Deutschland
einmarschieren – direkt oben in der Schlagzeile. Zusammen mit Selenskij pflegt er diese altbekannte antirussische Hassrede und nennt die russischen Soldaten Barbaren und
Bestien. Jedes Mal werden derlei Äußerungen bereitwillig durch die gesamten
deutschen Medien gepeitscht.
Zu den wichtigsten Multiplikatoren dieser Ukrainer gehört in Deutschland die
Grüne Partei und allen voran Außenministerin Annalena Baerbock,
die in Talkshows oder auf internationalen Bühnen Russen als grausame
Kindermörder und Vergewaltiger zeichnet. Flüchtlingskorridore würden von Wladimir Putins Armee bombardiert,
darunter Autos mit Kindern; Frauen würden vergewaltigt und Kinder von
Bürgermeistern erschossen. Russland dürfe deshalb "jahrelang nicht mehr auf
die Beine kommen", heißt es.
Ob die Vorwürfe stimmen, spielt keine Rolle. Hauptsache, sie sind vertraut. Lesen wir aus den Revolutions-Flugblättern des Jahres 1848:
"Die Russen sind da! Tod den Russen! [...] Von den Schätzen
Deutschlands werden die russischen Horden gelockt. […] Die Kosaken werden
kommen auf ihren Pferden, mit ihren Peitschen und Picken und alles
niederreiten. Bedürfnisse haben sie nicht, im Zerstören sind sie Meister, denn
sie haben kein Herz."
In den Schulbüchern der Kaiserzeit und der Weimarer Republik wurden "die
Russen" als ein desorganisiertes, zu eigenen Leistungen kaum fähiges Volk beschrieben. Es war deshalb nicht erstaunlich, dass die Wehrmachtsführung sich auf den
Hitlerschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
einließ. Im Wettbewerb der Ideen innerhalb der nazistischen Zirkel unterlag
schließlich Rosenberg Hitler, der den Ukrainern keine eigene Staatlichkeit
zugestehen wollte.
Aber Rosenbergs Konzepte und über die Jahre aufgebaute Netzwerke mit Kontakten
zu ukrainischen Nazi-Kollaborateuren wurden unmittelbar nach dem Ende des
Krieges von den bundesdeutschen und US-Geheimdiensten übernommen. Die Idee,
Sowjetrussland durch das Schüren der Nationalismen zu besiegen, war eine der
tragenden Säulen der westlichen Strategie im Kalten Krieg.
Die Anklänge an die dunkelsten Kapitel der deutschen und europäischen
Geschichte in den Reden der deutschen Politiker und Medienpublikationen des
Jahres 2022 sind also schwer zu übersehen. In diesem Jahr stimmte Deutschland
zum ersten Mal gegen die antinazistische Resolution im UN-Sicherheitsrat, zusammen mit den anderen
westlichen Staaten. Annalena Baerbock spielt nun
erfolgreich auf Augenhöhe in der obersten Liga der Russophoben
und wird dafür von den hiesigen Medien ob ihrer "aufrechten" Haltung
gelobt.
Wie verheerend diese Entwicklung für die Zukunft der deutsch-russischen
Beziehungen auf langfristige Sicht ist, lässt sich nur schwer ermitteln: Zu
groß ist der angerichtete Schaden. Natürlich wird in Berlin dafür allein
Russland die Schuld gegeben. Alles wegen des Vernichtungskrieges gegen die
Ukraine, der auch noch aggressiv, heimtürkisch und brutal sei. Aber auch die
deutschen Nazis beschuldigten ihre Gegner aller Übel dieser Welt und spielten
sich in den besetzten Gebieten als Befreier von Moskaus Bolschewismus auf. Sie
haben im Endeffekt verloren, die beschuldigte Seite gewann und setzte auf lange
Sicht politische Maßstäbe für Gut und Böse. Die Intoleranz gegen jegliche
Art von Nazismus ist deren tragende Säule.
Diese Maßstäbe werden nun mit der Leugnung des ukrainischen Neonazismus
ausgehebelt. Aber das Wort "Faschismus" ist nicht vergessen. Die Nazi-Keule wird nur gegen Russland selbst
geschwungen. Dieser Vorwurf entbehrt indes jeglicher Grundlage. Die
gegenwärtigen russischen Schläge gegen die ukrainische Energieinfrastruktur
sind zwar schmerzhaft für die Zivilbevölkerung. Sie sind aber keineswegs
brutaler als die NATO-Schläge gegen Jugoslawien oder die US-Schläge gegen Irak.
Und sie haben durchaus einen militärischen Zweck, denn es geht letzten Endes
darum, die gesamte ukrainische Kriegslogistik lahmzulegen. Nur, es kam zu Zeiten der US-Kriege auch deren
härtesten Gegnern nicht in den Sinn, die US-Amerikaner für ihre Grausamkeiten
zu verteufeln oder zu "canceln".
Und im Übrigen: In den befreiten Gebieten baut Russland keine KZs, und statt
Erschießungskommandos schickt der Kreml Beamte und Freiwillige, um Renten und humanitäre Hilfe zu verteilen, Ärtzeteams um Kinder medizinisch zu untersuchen, und
Baumaschinen um zerstörte Bauten zu reparieren. Und ganz wichtig: Russland entfernt die
Verherrlichung der Nazi-Kollaborateure aus dem Bildungswesen und stellt die von
der Ukraine unterbrochene historische Kontinuität mit der Generation der Sieger
über den Faschismus wieder her.
Die Vorwürfe
gegen Russland sind trotz alldem heftig. Zugespitzt sind sie, durch eine
Sprache des Hasses, die offensichtlich ganz professionell in den Stuben der psychologischen Krieger erzeugt
wird. Die von Propaganda-Experten aufgesetzte Sprach-Regelung, dass Russland
gegen die Ukraine einen "Vernichtungskrieg" führe, macht aber den
Braten nicht fetter. Im Gegenteil. Sie stellt nur die eigenen geschichtlichen
Komplexe bloß.
Im deutschen Fall ist es das Trauma, über Jahrzehnte hinweg angeblich eine
"Schurken-Nation" zu sein. Dieses Schuldgefühl ist indes ein
bundesdeutsches Phänomen. Denn der DDR gelang es, eine Trennlinie zwischen dem
Faschismus und der deutschen Staatlichkeit zu ziehen. Die BRD ermöglichte demgegenüber
unzähligen Nazi-Kadern eine Karriere und setzte gemeinsam mit den
angelsächsischen Ländern den Kampf gegen die Sowjetunion im Kalten Krieg fort.
Da der rassistische Vernichtungsfeldzug gegen die Russen in der BRD nur
unzureichend verstanden und aufgearbeitet wurde, fragen nun die politischen
Nachfahren der Gründungsväter der Bundesrepublik zaghaft, ob es nicht an der
Zeit wäre, dass Putin-Russland verlieren und an den Pranger der Geschichte
gestellt werden müsse, wie einst Hitler-Deutschland.
"Dass Russland verliert, heißt: Russland muss sich zurückziehen, muss
verlieren lernen wie Deutschland 1945. Es muss Reparationen zahlen und
Kriegsverbrecher an ein internationales Tribunal überstellen."
Dies sagte Roderich Kiesewetter, ein medial gut bekannter Bundestagsabgeordneter der
CDU – der Partei, der auch Konrad Adenauer angehört hat. Die gleiche Partei hat
vor vielen Jahren den Ex-Boxer Witali Klitschko als ukrainische Führungsfigur
aufgebaut, mit dem offen kommunizierten Ziel, mit Russland zu brechen und die
Ukraine generell in das westliche Lager und damit auch in den deutschen
Machtbereich zu überführen. Klitschko war unmittelbar vor dem blutigen Maidan-Putsch 2014 ein Herzensprojekt der Europäischen Volkspartei, zu der auch die CDU gehört. Und ein
Herzensprojekt von Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich. Diese
Intrige, ehrgeizig als "Großes Spiel gegen Putin" bezeichnet, hat das
Magazin Der Spiegel in seiner ausführlichen Hof-Berichterstattung in
Dezember 2013 dokumentiert.
Anschließend spielte Merkel im Minsker Prozess geschickt die Rolle einer
Vermittlerin. Um später, nach acht Jahren der Nichtbeachtung dieses Abkommens
seitens der Ukraine in einem Zeit-Interview lobend zu erklären, dass der Minsker Prozess der Ukraine zur militärischen Stärkung verholfen
habe. Also ging es Merkel keineswegs um eine friedliche Regulierung und
Beilegung des Konflikts, sondern darum, dass im Osten Europas ein militärisch
starkes, prowestliches, gegen Russland gerichtetes Protektorat entsteht. Noch
im Jahre 2018, also mitten im Minsker Prozess, sah sich der damalige
ukrainische Präsident Petro Poroschenko nicht im
Prozess der Regulierung, sondern im Krieg mit Russland. Und er begründete diesen Krieg mit der wortgleichen Propaganda-Formel, die wir heute aus dem
Munde der westlichen Poltiker hören:
"Wir kämpfen dabei nicht nur für uns, sondern auch für Europa, für die
Demokratie, die Freiheit, den Westen und seine Werte."
Dafür wurde er von seiner damaligen Patronin nicht getadelt, im Gegenteil. Es
steht also außer Zweifel, dass auch Angela Merkel, wäre sie Kanzlerin
geblieben, Waffen an die Ukraine im großen Stil geliefert hätte, wie dies heute
die Ampel-Regierung tut. Es ist die ganze deutsche politische Mitte, die seit
Jahren immer mehr geopolitischen Druck auf Russland ausübt, um das größte Land
der Erde aus seinem traditionellen Einflussbereich komplett zu verdrängen. Die
Verklärung der Ukraine zu einer fortschrittlichen Demokratie, während dort
faschistische Umtriebe blühen, gehört zu den Grundlagen dieser Politik.
Zu Beginn dieses Jahres blieb von den Resten der deutsch-russischen Beziehungen
deshalb kaum etwas übrig. Aber die Bedeutung des ausgehenden Jahres 2022
besteht darin, dass seine Ereignisse die Illusionen über die deutsch-russische
Aussöhnung endgültig gesprengt haben. Das wird sehr schwerwiegende Folgen
haben. Die deutschen Technologie-Unternehmen sind dabei, ihre Positionen auf
dem russischen Markt unwiederbringlich zu verlieren. Und dies wird das gute
Image der Deutschen als fortschrittliche Ingenieursnation rasch verwässern. Die
deutsche Soft-Power in Russland wird schwinden.
Gleichzeitig sorgen die aggressiven Aussagen deutscher Politiker, die Verfolgung von RT, und vor allem die vehemente Unterstützung des Kiewer
Regimes in Russland für immer mehr Wut. Bekannte Medienpersönlichkeiten, wie
etwa der Ex-Chef von Roskosmos, Dmitri Rogosin, oder der Moderator Wladimir Solowjew
wettern inzwischen ganz offen gegen Berlin. Und sie spielen dabei auf die
deutsche faschistische Vergangenheit an. Das Klima ist nun endgültig vergiftet.
Dennoch haben Wladimir Putin und führende Duma-Politiker bislang noch keine
einzige Aussage getätigt, die explizit an der Scholz-Regierung Kritik übt. Auf
einer Pressekonferenz im Oktober auf die deutsche Ukraine-Politik angesprochen,
verwies Putin lediglich darauf, dass Berlin nicht selbständig sei und nicht im
eigenen Interesse handele. Für den Kreml ist Berlin nur eine der zahlreichen
Hauptstädte, die im westlichen russophoben Konzert keine
eigene Solopartie spielen. Es scheint, dass das offizielle Moskau nach wie vor
das besondere, historisch bedingte deutsche Interesse an der Ukraine bewusst
übersieht. Bislang sah der Kreml – ganz im Gegensatz zu Berlin – davon ab, den
jetzigen, vorzüglich demütigen Botschafter der alten Schule, Sergei Netschajew, durch einen Hardliner vom Schlage eines Graf von Lambsdorff zu ersetzten.
Dies könnte – je nachdem – als letztes Relikt des alten Denkens in Moskau
verstanden werden, oder eben als inzwischen schon erstarrte, aber nach wie vor
immer noch ausgestreckte Hand.