Rede von Professor Mati Baraki auf der Friedenskundgebung
der“Mütter gegen den Krieg
Berlin-Brandenburg“ am 15.11.2015
in Berlin, einen Tag nach
den Anschlägen in Paris
Liebe Friedens-Freundinnen und Friedens-Freunde,
Angesicht des Terroraktes in Paris am Freitag, 13. November,
bitte ich Sie ganz herzlich, einige
Minuten an alle Opfer zu denken.
Als Terrorist wird man nicht geboren.
Zum Terroristen wird man durch gesellschaftliche
Verhältnisse gemacht. Wer keine Terroristen
will, der muss die Verhältnisse ändern.
Auch die Terroristen haben Mutter und
Schwester, die an ihrem Grab weinen. Ich habe die Mutter
und Schwester der Taliban gesehen, die um ihre
getöteten Söhne bzw. Brüder trauerten.
Terror ist ein Kampfmittel der
Schwächeren. Die Stärkeren haben Sturmgewehre, Maschinengewehre,
Panzer, Kampfjets und Drohnen. Die
Schwächeren opfern ihr Leben als Selbstmordattentäter oder
werden von den Sicherheitskräften der
Stärkeren erschossen. Das nennt man in der Politikwissenschaft
„Assymerischer Krieg“. Die Terroristen
und ihre Opfer, sind beide im Grunde, Opfer des Krieges. Ein Krieg,
der fast immer von Außen getragen wurde.
Das Motto dieser Kundgebung lautet: „gegen
Faschismus und Krieg“!
Faschismus ist eine Form der
bürgerlichen Herrschaft. D.h. die Grenze zwischen Faschismus und der
bürgerlichen Demokratie ist fließend.
Faschismus ist ein Ersatzreifen, der in der Not eingesetzt wird.
„Wer vom Faschismus redet, darf vom
Kapitalismus nicht schweigen“, (Prof. Max Horkheimer:
Die Juden und Europa). Und ich sage
Ihnen, liebe Freunde: „Wer vom Kapitalismus redet, darf
vom Krieg nicht schweigen“!
Der Kapitalismus braucht den Krieg, wie
die Lebewesen, den Sauerstoff zum Atmen. Der Krieg ist für den Kapitalismus
sehr profitabel. Der Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel hat im ersten Halbjahr 2015 fast
so viele Waffen-Exporte im ersten
Halbjahr genehmigt, wie im gesamten Vorjahr. Es waren nämlich
15, 94 Mio. € an die Länder Jordanien, Ägypten,
die Vereinigten Arabischen Emirate, den Libanon, Oman
und Malaysia berichtete die dpa am 9.
November 2015. Alle diese Länder gehören zu einer höchst spannungsgeladenen
Region.
Nach den Rüstungsexportrichtlinien der
Bundesrepublik ist es verboten, Kriegsmaterial in die Spannungsgebiete zu
entsenden.
Was soll man von einer Regierung halten,
wenn sie gegen die Gesetze verstößt, die
sie selber verabschiedet hat. In einer
Demokratie darf so etwas nicht sein.
Der Krieg gegen Afghanistan hat bis zur
Ablösung der NATO-Kampftruppen nach offiziellen Angaben wöchentlich 1,5 Mrd. $
gekostet.
Dieser Krieg geführt unter der
US-Führung, hat 14 Jahre, d.h. länger gedauert als der Zweite Weltkrieg. Man
kann einfach umrechnen,
was für horrende Summen von Geldern
verpulvert worden sind. Dieses Geld floss in die Taschen der rüstungsproduzierenden
Konzerne der kriegführenden Länder. Darüber
hinaus wurden die neuesten Waffen im Einsatz getestet:
1. US-Drohnen, die
ursprünglich lediglich Aufklärungsdrohnen waren, wurden im Krieg gegen
Afghanistan zu Kampfdrohnen weiter entwickelt.
2. Die
Innentemperatur des deutschen gepanzerten Fahrzeuges „Fuchs“ stieg beim Einsatz
am
Hindukusch auf 80 Grad Celsius. Kein Soldat
könnte sich darin mehr aufhalten. Auch dieses Kriegsfahrzeug wurde während des
Krieges
entsprechend den
afghanischen Einsatzbedingungen angepasst.
3. Ein französischer
Kampfjet, ein Nachfolgetyp von Mirage wurde ebenfalls in Afghanistan getestet.
Also, wer der Krieg nicht will, der muss
den Faschismus und den Kapitalismus nicht wollen!
Einen guten Kapitalismus gibt es nicht!
Faschismus und Kapitalismus sind
kriminelle Vereinigungen. Der Kapitalismus tötet täglich Menschen und zerstört
die Natur.
Die Welt aus den Fugen
Kaum zu glauben, aber es ist wahr, dass
nur 1 % der Weltbevölkerung, soviel Reichtum akkumuliert hat,
wie 99 % der gesamten Menschheit.
Nur 80 reichste Männer und Frauen haben so viel Vermögen
angehäuft, wie die Hälfte
der Weltbevölkerung, d. h. soviel, wie 3,3 Mrd. Menschen, berichtetete
die britische Hilfsorganisation OXFOM im
Sommer 2015.
Genau 60 Mio. Menschen sind weltweit auf
der Flucht. (UNHCR 2015).
Warum?
1. Eben wegen der direkten
Kriege der kapitalistischen Länder z.B. gegen Afghanistan, Irak, Lybien, Syrien
usw. haben die
Menschen ihre Lebensgrundlage verloren und suchen wo anders ihr Glück.
2. Es wird aber
auch ein ökonomischer Krieg geführt:
a) an der Küste
Afrikas wird durch riesige Schiffe der kapitalistischen Länder, Alles
weggefischt, was
verfügbar ist.
Altkleider-Exporte aus den
kapitalistischen Ländern zerstört die einheimische Textilindustrie, z.B. in
Tansania sind dadurch 80 000
Arbeitsplätze verloren gegangen, (Wirtschaftskreislauf: Das Kilo für
1,20 Dollar:
80.000 Stellen gingen in Tansanias Textilindustrie
verloren: Quelle: Die Zeit, Hamburg, 4.11.2011.
und »Die Altkleider-Lüge« läuft am Freitag, dem
4.11.2011 um 21.15 Uhr im NDR Fernsehen).
b) Subventionierte
Agrarprodukte aus EU- und USA vernichten die bäuerlichen Existenzen
in der
Peripherie der Welt,
c) Politische
Intervention, in der korrupte, faschistoide Diktatoren an die Macht gebracht oder
an der Macht gehalten werden.
Kann es in so einer Welt Frieden geben?
Was wir täglich erleben, kann diese Frage nur mit NEIN
beantwortet werden. Aber, der US-Präsident
und Friedens-Nobelpreisträger Barak Obama sagte kürzlich:
Es geht „Aufwärts“. Wo und für wen,
sagte er nicht.
Was ist eigentlich passiert, dass die
Welt in so eine Un-Ordnung geraten ist?
Die bipolare Weltordnung ist mit dem
Ende des „real-existierenden Sozialismus“ zusammengebrochen.
Der
Sozialismus gefiel uns nicht so gut, u.a. auch wegen kleineren Bananen usw.
Aber er hatte eine große strategische
Bedeutung für die internationale Politik und das Gleichgewicht
auf der Welt. Man muss ja nicht Sozialist
sein, um diese Tatsache anzuerkennen. Allein dass es ihn gab, deswegen konnten
die
kapitalistischen Länder nicht so schalten
und walten, wie sie es gerne getan hätten.
Nur ein Beispiel: Leonhard Mahlein (die
älteren erinnern sich an ihn als Vorsitzenden der IG Druck und
Papier), sagte einmal: „Wenn wir mit den
Unternehmern am Verhandlungstisch sitzen, dann sitzt die DDR unsichtbar mit am
Tisch“.
Diese Aussage Mahleins erweitere ich auf
die Weltpolitik.
Übrig geblieben ist nun die „Einzige
Weltmacht“, nämlich die USA, wie der ehemalige Sicherheitsberater
des US-Präsidenten Jimmy Carter, wie Zbigniew Brzezinski
in seinem gleichnamigen Buch hervorhob.
Um diesen Weltmachtanspruch der USA umzusetzen,
hat die US-Regierung die gesamte Region des
euro-asiatischen Kontinents zu ihrer
Interessenssphäre erklärt. „Eine zweite Macht neben uns dulden wir
nicht!“, betonte Brzezinski.
Als die NEOCON um George W. Bush, Dick Cheney,
Paul Wolfowitz, Donald Rumsfeld in USA an die Regierung kamen,
erweiterten sie die „Strategie“ von
Brzezinski, und nannten sie „Greater Middle East“
(GME). Die GME bedeutet: dass die Region
von Nordafrika bis Bangladesch unter die Kontrolle der USA gebracht
werden muss! Man wartete auf einen
Anlass. Der 11. September 2001 war das, worauf man gewartet hatte. Hätte es ihn
nicht gegeben, hätte er erfunden werden
müssen!
Die Wieder-Auferstehung Deutschlands
Aber wir leben hier und wie dürfen das
wiederauferstandene Deutschland, mit seinen
Großmachtambitionen nicht aus den Augen
verlieren.
Es wäre Eulen nach Athen zu tragen, wenn
ich als Afghane Euch erklären müsste, dass Deutschland eine verspätete
Nation und damit auch eine verspätete
Imperialmacht gewesen ist.
Als die herrschenden Klassen
Deutschlands aufwachten, war die Welt schon unter anderen Mächten
verteilt. Aber Deutschland wollte auch
unbedingt „Einen Platz an der Sonne“ haben. Die Sehnsucht
nach dem Platz an der Sonne, war die
Triebkraft des 1. und auch des 2. Weltkrieges, mit allen uns
bekannten Folgen.
Damit war auch die Strategie:
„Verteidigung Deutschlands am Hindukusch zum ersten Mal geboren“!
Das war am Vorabend des 1. Weltkrieges.
„Wenn wir Großmacht werden wollen,
müssen wir Großbritannien zerschlagen. Das Herzstück
Großbritanniens ist Britisch-Indien. Und
Britisch-Indien können wir auf dem Landweg nur durch
Afghanistan erreichen. Afghanistan ist
das Tor zu Indien. Wir müssen dahin“, so verlautbarten die
Strategen des Kaiserlichen Reiches, am
Vorabend des 1. Weltkrieges. Damit war zum ersten Mal die
Konzeption „Verteidigung am Hindukusch“
geboren.
Bekanntlich ist daraus nichts geworden.
Deutschland hat den Krieg verloren und musste den Traum
von einem „Platz an der Sonne, vorläufig
zurück stellen.
Verteidigung am Hindukusch II:
“Der Führer wünschte die studienmäßige
Bearbeitung eines Aufmarsches in Afghanistan gegen Indien im Anschluss
an die Operation ,Barbarossa’.” Dies
kann man mit dem Datum des 17. Februars 1941 als Notiz im Kriegstagebuch des
Oberkommandos der faschistischen
Wehrmacht lesen. Und „ich habe weiterhin den Eindruck,
dass wir bei der Verteilung
der Welt in den vorangegangenen Jahrhunderten
als Deutsche zu kurz gekommen sind. Und ich habe drittens
den Eindruck, dass wir das, was wir damals
versäumten, jetzt nachholen müssen. Riesenjubel.“ (O-Ton Goebbels auf einer
Kundgebung der NSDAP in Prag, 05.11.1940.) Dies war u.a. eine von den Triebkräften
des 2. Weltkrieges, die ebenfalls
zu einer totalen Niederlage der faschistischen deutschen
Imperialmacht führte.
Der Dritte Anlauf
Nachdem die Restauration des Kapitalismus in ganz
Deutschland vollzogen wurde, wurde die Deutsche Geschichte
durch Kanzler Helmut Kohl in einer Regierungserklärung
am 30. Januar 1991 im Bundestag als abgeschlossen erklärt.
Nun sei die Zeit gekommen, um sich den neuen Aufgaben zu
zuwenden, betonte Helmut Kohl. Es dauerte dann
auch nicht mehr lange, bis die strategischen Ziele des
neuen Deutschlands Schritt für Schritt formuliert wurden.
1. „Nach außen
gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind.“
(Außenminister Klaus Kinkel: Verantwortung,
Realismus, Zukunftssicherung. Deutsche
Außenpolitik
in einer sich neu ordnenden Welt. FAZ 19. März 1993, S. 8.)
2. „Ein
grosses, globales Rennen hat begonnen: Die Weltmärkte werden neu verteilt,
ebenso die
Chancen
auf Wohlstand im 21. Jahrhundert. Wir müssen jetzt eine Aufholjagd
starten.“
(Die
Berliner Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog im Hotel Adlon am
26.
April
1997)
Diese beiden oben zitierten strategischen
Orientierungen weisen unmissverständlich und mit Nachdruck
auf die erneuten deutschen Großmachtambitionen hin!
Die Umsetzung dieser Strategie
1. der Krieg gegen
Jugoslawien, worauf ich hier nicht mehr eingehen möchte, war der erste Schritt
zur „Normalität“ des gross gewordenen
Deutschlands,
2. „Uneingeschränkte
Solidarität“ mit den Vereinigten Staaten infolge der Ereignisse des 11.
Septembers 2001 war der 2. Schritt zur
„Normalität“.
3. Daraufhin wurde durch den
massiven Druck der Regierung Schröder/Fischer auf der NATO-
Tagung der „Bündnisfall“
nach Artikel 5 des NATO-Vertrages erklärt, gab der damalige
Bundeswehr Inspekteur und in
der Zeit Beigeordneter des NATO-Generalsekretärs, General
Klaus Naumann zu
Protokoll.
4. Damit war der Weg frei für
den Einmarsch der Bundeswehr nach Afghanistan.
Nun hat Deutschland endlich erreicht, einen Platz an
der Sonne am Hindukusch zu bekommen.
Was Wilhelm II. und Hitler nicht gelungen war, ist der
SPD/Grüne Bundesregierung gelungen, die
strategischen Ziele Deutschlands im Herzen Asiens zu
erreichen. Gerhard Schröder und Josef Fischer
haben das vollbracht, wovon die deutsche Imperialmacht
immer geträumt hatte.
Was Nun? In Afghanistan usw.
1.
Die bedingungslose Beendigung der NATO-Kriege überall,
2.
Ablösung der NATO-Einheiten am Hindukusch durch die Einheiten
aus den Islamischen und den Blockfreien Staaten,
3.
Eine Ratsversammlung, auf der neue politische Strukturen in
Afghanistan geschaffen werden
müssen.
Wer keinen Terror und keine Flüchtlinge haben will,
der muss dafür sorgen, dass die NATO-Kriege
aufhören.
Wer den Faschismus und den Krieg nicht will, der muss hier,
in den Zentren des Kapitalismus etwas
ändern. Der der Fisch stinkt am Kopf. Oder wie die
Afghanen sagen: „Wenn das Wasser an der Quelle
dreckig ist, ist der ganze Fluss verschmutzt“.
„Eigentlich unglaublich, dass ihnen das
immer wieder gelingt ...
Deinem Urgroßvater haben sie erzählt:
Gegen den Erbfeind Für das Vaterland
Und er hat das tatsächlich geglaubt.
Was hat er gekriegt? Granatsplitter in Beine
und Kopp vor Verdun.
Deinem Großvater sagten sie:
Gegen die slawischen Horden.
Für die abendländische Kultur.
Er hat das wirklich geglaubt.
Was hat er gekriegt? Bauchschuss und
einen verrückten Kopp vor Stalingrad.
Deinem Vater erzählen sie jetzt:
Gegen die Völkermörder. Für die Menschenrechte.
Für den Frieden. Unglaublich - er glaubt’s.
Was er wohl kriegt?
Und wo wird das sein - diesmal?“ fragte Franz Josef Degenhardt, rhetorisch.
Diesmal war Afghanistan, lieber Franz und nächstmal
wird es wo anders sein, wenn wir es nicht schaffen,
die Urheber der
Kriege zu beseitigen.
Vielen Dank