Untergang der
von Tilo Gräser,
23.01.2019
Die Deindustrialisierung des
Die Wiedervereinigung Deutschlands ab 1990 hätte
anders verlaufen können, wenn der politische Wille dazu dagewesen wäre. Das
gilt laut dem Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler vor allem für die
wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands nach dem Untergang der
Roesler sprach am Dienstag in Berlin über das
Thema „War das Vorgehen der Treuhand alternativlos?“. Bei der Linkspartei-nahen
Berliner Stiftung „Helle Panke“ widerlegte er den Mainstream der
Zeitgeschichtsschreibung, dem zufolge das Vorgehen der Treuhandanstalt
alternativlos war. Diese Institution hatte das Gebiet der
Der Wirtschaftshistoriker erinnerte dabei nicht nur an
alternative Vorstellungen der seit November 1989 amtierenden
Warnungen vor Schock-Therapie
Das stand dem Plan einer schnellen Währungs- und
Wirtschaftsunion entgegen. Mit der Wahl vom 18. März 1990 war das Konzept aber
nur noch eines für die Archive. Solche Vorstellungen spielten in der Folge
kaum eine Rolle für die Umsetzung des vom Runden Tisch in der DDR im Februar 1990 vorgelegten „Vorschlag zur umgehenden Bildung einer Treuhandgesellschaft
(Holding) zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft
am Volkseigentum der DDR“. Die Treuhand wurde entgegen den ursprünglichen
Zielen benutzt, um die DDR-Wirtschaft zu zerstören.
Auch in der alten Bundesrepublik sei vor einer
Schock-Therapie für die
Storch habe geschrieben, dass das nicht zwangsläufig
bedeute, die bisherigen Staatsbetriebe zu privatisieren. Diese könnten
in einer Marktwirtschaft gleichfalls eigenverantwortlich handeln. Der
Bundesbank-Direktor, einer von sieben, habe es abgelehnt, die
Klare Vorhersagen der Folgen
Doch darauf wurde ebenso wenig gehört wie auf andere
warnende Stimmen. Zu diesen habe Roland Götz-Coenenberg vom Bundesinstitut für
ostwissenschaftliche und internationale Studien Köln gehört. Dieser habe sich
im Februar 1990 gegen die damalige öffentliche Stimmungsmache für eine schnelle
Währungsunion gewandt. Er habe für einen solchen Fall „die Wahrscheinlichkeit
des wirtschaftlichen Zusammenbruchs weiter Teile der
Der Wissenschaftler habe ebenfalls davor gewarnt, dass
die bisherige
Doch solche Stimmen der wirtschaftlichen Vernunft
seien gegen den politischen Willen der Regierenden um Kanzler Helmut Kohl und
seiner Verbündeten in der Noch-
Wahlergebnis vom März 1990 als Argument
Später sei der Treuhand-Chef vorsichtiger geworden und
habe sich nur noch für ein behutsames Schließen, Sanieren und Privatisieren der
„Privatisierung ist die wirksamste Sanierung. Die
Treuhandanstalt darf nicht das Ziel ändern, aber sie hat das Tempo im
Einzelfall und insgesamt unter Berücksichtigung der sozialen, wirtschaftlichen
und finanziellen Folgen abzuwägen.“
Rohwedder habe die von ihm angestrebte rücksichtsvolle
Vorgehensweise nicht mehr umsetzen können, so der Wirtschaftshistoriker. Er
sagte, dass die Wahlergebnisse vom 18. März 1990 mit einer großen CDU-Mehrheit
von den Befürwortern einer schnellen Währungsunion für ihren Kurs genutzt
wurden. Damit sei die geplante kompromisslose Transformation der
Warnungen bestätigt
Dagegen sei es zu einer flächendeckenden
Deindustrialisierung des Gebietes der
Dabei seien 68 Prozent der Arbeitsplätze abgebaut
worden: Von mehr als vier Millionen Beschäftigten im „Treuhand-Imperium“ 1990
seien nur 1,3 Millionen in den privatisierten sowie noch von der Treuhand
kontrollierten Unternehmen übriggeblieben. Von über 3,2 Millionen Beschäftigten
im verarbeitenden Gewerbe der einstigen
So seien die düsteren Vorhersagen bundesdeutscher
Wirtschaftsexperten wie Storch und Götz-Coenenberg „in hohem Maße erfüllt“
worden. Roesler beantwortete die „berechtigte Frage, was wäre geschehen, wenn
sich nicht die Befürworter, sondern die Warner vor einer raschen und
rücksichtslosen Transformation durchgesetzt hätten“, mit dem Beispiel Hongkong.
Reales Gegenbeispiel
Die ehemalige britische Kronkolonie wird seit 1997 mit
China wiedervereinigt, auf Grundlage eines Abkommens von Peking und London von
1984. Darin sei eine Übergangzeit von 50 Jahren nach dem Prinzip „Ein Land –
zwei Systeme“ vereinbart worden, hob der Historiker hervor. Die Entwicklung
Hongkongs seit der offiziellen Rückkehr zu China 1997 zeige die positiven
Wirkungen für beide Seiten durch den schrittweisen Übergang, im
wirtschaftlichen wie im sozialen Bereich.
Die kommunistische Führung in Peking hätte auch
den Kapitalismus in der Kronkolonie plattmachen können, antwortete Roesler
auf zweifelnde Fragen aus dem Publikum zu dem Beispiel. Daran sei vor allem
wichtig, dass ein entsprechender politischer Wille alternative Wege bei einer
Wiedervereinigung ermögliche.
Bewusste Zerschlagung der
In der Diskussion in der Veranstaltung bei der
„Hellen Panke“ erinnerten Zeitzeugen an die Vorgänge unter der Regie der
Treuhand und daran, dass die bundesdeutschen Unternehmen keine ostdeutsche
Konkurrenz wollten. So stellte unter anderem Eckhard Netzmann, 1990 Vorstand
der Kraftwerksanlagenbau AG, klar, dass es sich nicht um eine Wiedervereinigung
gehandelt habe, sondern die
„Die Wirtschaft der
Der Zeitzeuge erinnerte an eine weitere Folge: „Zwei
Millionen ausgebildete Arbeitskräfte der verschiedenen Berufe des Ostens zogen
nach dem Westen und bringen dort ihre Steuern ein. Im ganz schlechten Tausch
haben wir eine Million Beamte, Juristen, Politiker und so weiter übernommen.“
Netzmann äußerte Zweifel am Nutzen alternativer Überlegungen zu historischen
Vorgängen.
Kein Freispruch für Verantwortliche
Er sagte voraus, dass die Lage der ostdeutschen
Wirtschaft mit ihren selbst von der Bundesregierung eingestandenen Defiziten
sich in den nächsten Jahrzehnten nicht ändern werde. In einem anderen
Interview habe er 1992 bereits vor den Folgen gewarnt, die damals schon
absehbar gewesen seien: „In Deutschland ewig die Ossis!“
Der von Roesler zitierte Ökonom Priewe bestätigte
in der Debatte zum Vortrag, dass nach den März-Wahlen 1990 klar war, dass
die
Priewe stimmte aber zu, dass die Bundesregierung bei
entsprechendem politischem Willen „viel mehr“ für die ostdeutsche
Wirtschaftsentwicklung hätte tun können. Was möglich ist, habe später die
Bankenrettung ab 2008 gezeigt. In der untergehenden
Wirtschaftshistoriker Roesler erklärte zum Abschluss
der Veranstaltung, das erste Quartal 1990 sei für die weitere Entwicklung
Ostdeutschlands entscheidend gewesen. Es hätten in Bonn andere
Entscheidungen fallen müssen – „Das ist die Anklage!“ Die damals in der
BRD Verantwortlichen Wie Kohl und Wolfgang Schäuble trügen die „eindeutige
moralische Schuld“ für das, was geschah und die Folgen: „Es hätte nicht so
kommen müssen! Es gibt keinen Freispruch für die Entscheidung, die die
Bundesregierung im März 1990 gefällt hat.“
Jörg Roesler: „Aufholen, ohne einzuholen! Ostdeutschlands rastloser
Wettlauf 1965-2015. Ein ökonomischer Abriss“
Quelle: https://de.sputniknews.com/wirtschaft/20190123323694367-ddr-wirtschaft-untergang/
Siehe zum Thema auch:
Interne Kolonialisierung: Wie die DDR ausverkauft
wurde
https://www.nachdenkseiten.de/?p=46859#more-46859
https://www.deutschlandfunkkultur.de/gespraech-zwischen-jana-hensel-und-wolfgang-engler-der.1270.de.html?dram:article_id=428203