Debatte um Donnersmarck-Film Warum ich meinen Namen aus "Das Leben der
Anderen" löschen ließ
2002 bat mich Donnersmarck, ihm aus meinem Leben als
Dramatiker in der
Gastbeitrag von Christoph Hein
Fast wäre ich weltberühmt geworden, aber eine
selbstverschuldete Pedanterie verhinderte es. Wenn man, wie die Wiener sagen,
etepetete ist oder etjerpotetjer, wie dasselbe einst im Niederdeutschen hieß,
also eher pingelig denn bedenkenlos, verscherzt man sich häufig die schönsten
Chancen seines Lebens. An einem Vormittag eines Sommertages im Jahre 2002 rief
mich Ulrich Mühe an, ein befreundeter Schauspieler, mit dem ich gelegentlich
beruflich zu tun hatte. Er fragte, ob er mich mit einem Filmregisseur aufsuchen
könne, der ein paar Fragen habe. Ich sagte zu, und bereits drei Stunden später
erschien Freund Mühe mit einem sehr jungen und sehr großen Mann, den Ulrich mir
als Filmregisseur vorstellte.
Wir gingen in ein Gartenlokal in der Nähe meiner
Wohnung, bestellten uns Essen und Getränke, der Regisseur holte einen Stift und
einen Block aus seiner Tasche und fragte, ob er nun fragen könne. Ich nickte,
waren wir doch deswegen zusammengekommen, und er bat mich, ihm das typische
Leben eines typischen Dramatikers der
Vier Stunden saßen wir im sonnigen Gartenlokal und ich
redete, Ulrich hörte zu, der Regisseur schrieb sich einiges auf und sagte
schließlich, er sei mir unsäglich dankbar. Nun wisse er doch über das Leben in
Ostdeutschland Bescheid, wisse, wie es in dieser Diktatur zugegangen sei, ich
hätte ihm entscheidend geholfen. Vier Jahre später erhielt ich eine Einladung
zu der Premiere eines Films, in dem mein Freund Ulrich Mühe die Hauptrolle
spielte. Ich war überrascht, als mein Name im Vorspann auftauchte und mir für
meine Mitarbeit gedankt wurde. Am Tag nach der Premiere schrieb ich dem
Regisseur einen Brief und verlangte, dass mein Name im Vorspann nicht genannt
werden dürfe, denn mein Leben war anders als in "Das Leben der
Anderen" dargestellt.
Der Regisseur war überrascht und verwundert, erklärte
mir, dass er lediglich in aller Öffentlichkeit seine Dankbarkeit hatte bekunden
wollen. Meine Einwände gegen seinen Film akzeptierte er nicht, ein Melodram
habe nicht allein der Wahrheit zu folgen, sondern vor allem den Gesetzen des
Kinos. Alles, was ich ihm ein paar Jahre zuvor erzählt hatte, war von ihm bunt
durcheinandergemischt und dramatisch oder vielmehr sehr effektvoll
melodramatisch neu zusammengesetzt worden. Im Kino sitzend hatte ich erstaunt
auf mein Leben geschaut. So war es zwar nicht gewesen, aber so war es
viel effektvoller.
Der Held des Films sitzt im Jahr 1989 an einem Artikel
über Selbstmorde in der
Jedoch dass der Filmheld seine Arbeit konspirativ
anfertigen muss, sie auf einer dramatisch versteckten Schreibmaschine schreibt,
das Manuskript in Agentenmanier in den Westen schmuggelt, dass er, der einer
der berühmtesten Autoren des Landes sein soll, samt seiner Freundin, ebenfalls
sehr berühmt, von der Staatssicherheit abgehört und lebensbedrohend bedrängt
wird, all das ist bunt durcheinandergemischter Unsinn.
Gewiss, die Staatssicherheit hatte, wie ich dem
Regisseur an jenem Sommertag Jahre zuvor berichtet hatte, für ein
Dreivierteljahr meine Wohnung insgeheim verwanzt, weil ich einer
Flugblattaktion wegen in ihr Visier geraten war. Aber damals war ich ein
Student und es waren die Sechzigerjahre. In den Achtzigern sah es inzwischen
anders aus. Der Staat bekam allein mit Repressionen seine Untertanen nicht mehr
in den Griff, die Ausreiseanträge mehrten sich, viele geschätzte Künstler
verabschiedeten sich für immer, die Grenze wurde durchlässiger.
Nein, "Das Leben der Anderen" beschreibt
nicht die Achtzigerjahre in der
Mein Leben verlief völlig anders. Aber diese Wahrheit
ist für ein Melodrama ungeeignet. Um Wirkung zu erzielen, braucht es ein
Schwarz-Weiß, werden edle Helden und teuflische Schurken benötigt. Der
Regisseur war über den Wunsch, meinen Namen im Vorspann zu streichen, offenbar
sehr verärgert und sagte nie wieder, er sei mir unsäglich dankbar. Stattdessen
erzählt er seitdem, er habe sich bei seinem Film von der Biografie und den
Kämpfen Wolf Biermanns inspirieren lassen. Das ist natürlich völlig unsinnig,
denn Biermann hatte man zwölf Jahre zuvor die Staatsbürgerschaft entzogen, so
dass er in den entscheidenden Jahren des Zusammenbruchs des Staates und in dem
Zeitraum in dem der Film spielt, nicht im Land sein konnte. Aber ich scheue
mich, seinen Hinweis eine Lüge zu nennen. Weiß ich doch, dass es neben der
Wahrheit noch die melodramatische Wahrheit gibt und neuerdings die alternativen
Fakten. Hegel sagte, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und
Personen sich zweimal ereignen. Marx fügte hinzu: das eine Mal als Tragödie,
das andere Mal als Farce. Nachzutragen habe ich, dass auch ein dummer Jungenstreich
sich wiederholt, und zwar als Hanswurstiade.
Denn zehn Jahre nach jener Filmpremiere erzählte mir
ein Professor der Germanistik, er habe - aus welchen Gründen auch immer - meine
Anti-Zensur-Rede von 1987 mit seinen Studenten besprochen. Die Studenten hätten
ihn gefragt, wie viele Jahre Gefängnis der Autor dieses Textes wegen bekommen
habe. Der Professor erwiderte, der Autor sei nicht ins Gefängnis gekommen.
Darauf meinten die Studenten, dann sei dieses Pamphlet erst nach 1989, also
nach der Wende, geschrieben worden.
Nein, erwiderte der Professor, er selbst habe bereits 1987 diese Rede
gelesen. Das sei unmöglich, beharrten die Studenten, so könne es nicht gewesen
sein, sie wüssten das ganz genau, weil sie ja den Film "Das Leben der
Anderen" gesehen hätten. Man sei, sagte der Professor zu mir, nach diesem
Seminar in Unfrieden voneinander geschieden.
Der Film wurde ein Welterfolg. Es ist aussichtslos für
mich, meine Lebensgeschichte dagegensetzen zu wollen. Ich werde meine
Erinnerungen dem Kino anpassen müssen. Denn wenn auch die Tragödie zur Farce
wird und schließlich zur Hanswurstiade, so endet doch alles als Melodram.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/donnersmarck-hein-das-leben-der-anderen-1.4300244 24.01.2019
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Siehe auch: Debatte um Kinofilm Gerhard Richter übt harsche Kritik an
Florian Henckel von Donnersmarck
https://www.sueddeutsche.de/kultur/gerhard-richter-florian-henckel-von-donnersmarck-werk-ohne-autor-1.429483