DDR-Recht

Die DDR – ein konsequent antifaschistischer Staat

von Hans Bauer, Stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR

Getreu dem Schwur von Buchenwald errichteten Antifaschisten in der Sowjetischen Besatzungszone nach 1945 eine antifaschistisch-demokratische Ordnung. Nach Gründung eines westdeutschen Separatstaates wurde auf dieser Grundlage die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Der Geist der Provisorischen Verfassung dieses Staates war vor allem von Frieden und Völkerfreundschaft bestimmt. Und – nach den bitteren Erfahrungen von 1933 bis 1945 – von Antifaschismus, den es „mit seinen Wurzeln“ (Buchenwald-Schwur“) zu vernichten galt. Das entsprach auch dem Potsdamer Abkommen mit der Entnazifizierung, Bestrafung und Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher in Politik, Militär und Wirtschaft. Damit einher ging von Anfang an die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Ursachen, Entstehung und Erscheinungen des Faschismus sowie eine humanistische Bildung, die den Antifaschismus im Denken der Menschen tief verankerte.

Mit der Festigung sozialistischer Macht-und Eigentumsverhältnisse wurde Antifaschismus mit der vom Volk beschlossenen Verfassung von 1968 ausdrücklich Verfassungsinhalt. Antifaschistisches Denken und Handeln war zu einem festen Wert für die Bevölkerung der
DDR geworden. Und ist es auch für die übergroße Mehrheit nach der Annexion 1990 bis heute geblieben.

Natürlich schloss das nicht aus, dass Einzelne faschistisches Gedankengut vertraten und verbreiteten. Dagegen vorzugehen, gab es unter sozialistischen Verhältnissen viele gesellschaftliche und staatliche Möglichkeiten. Selbstverständlich auch das Strafrecht.

Die westlichen Besatzungszonen hatten schon frühzeitig aufgehört, eine antifaschistische Entwicklung zu forcieren. Im Gegenteil, Kriegsverbrecher und führende Nazis standen mit an der Wiege dieses Staates BRD und bald sogar an der Spitze. Das Ergebnis ist mit Langzeitwirkung heute mit NSU, rechten Parteien und Rechtsentwicklung sichtbar und spürbar.
Naheliegend, dass dies auch auf Ostdeutschland Auswirkungen hat.

Dass die
DDR in den 1980-er Jahren mit neuen rechten Erscheinungen konfrontiert wurde - in Fußballstadien, auf Konzerten - , ist eine Tatsache. Das waren weniger Rudimente der Vergangenheit, sondern vor allem „Importe“ aus der BRD, über Medien, später auch durch direkte Einflussnahme. Dieser Entwicklung wirkungsvoll mit gesellschaftlichen Strategien zu begegnen, war eine neue und komplizierte Herausforderung. Mit der Rückkehr zum Kapitalismus im Osten konnten progressive Ansätze nicht mehr verwirklicht werden.

Die BRD maßt sich besonders nach der staatlichen Vereinigung an, den Antifaschismus der
DDR zu verurteilen, zu verunglimpfen. Mit Begriffen wie „Unrechtsstaat“ oder „verordneter Antifaschismus“ versucht sie, die eigene braune Vergangenheit und Gegenwart zu verdrängen und zu verfälschen. Angesichts ihrer eigenen Entwicklung fehlt ihr jegliche historische und moralische Legitimation, über den Antifaschismus der DDR ein Urteil zu fällen.

Interview:
»Manche jungen Menschen sahen keine Perspektive«

Antifaschismus war in der
DDR nicht nur verordnet. Auf größer werdende Neonazigruppen war man jedoch nicht vorbereitet. Ein Gespräch mit Hans Bauer geführt von Marc Bebenroth

MB :Sie kommen aus einfachen Verhältnissen und waren mehr als 20 Jahre lang Staatsanwalt in der
DDR. Wie kam es dazu?

HB : Meine Mutter war Spinnerin und hat mich 1941 zur Welt gebracht. Mein Vater starb sechs Jahre später. Nach dem Abitur bin ich 1959 freiwillig zur NVA (Nationalen Volksarmee) gegangen, und weil ich mich schon früh für Kriminalistik interessierte, bewarb ich mich unter anderem für ein Jurastudium. Als ich noch in der Armee war, bekam ich meine Zulassung und studierte von 1961 bis 1965 Rechtswissenschaften. Von 1966 bis zum 3. Oktober 1990 war ich Staatsanwalt auf verschiedenen Ebenen: beim Kreis, beim Bezirk und dann bei der Generalstaatsanwaltschaft. Diese Entwicklung eines Arbeiterkindes und die Brechung des bürgerlichen Bildungsprivilegs – auch das war ein Stück
DDR.

MB: Was haben Sie vom Umgang mit der Nazizeit mitbekommen?

HB : In der Familie hat es keine Verherrlichung der Nazizeit gegeben. Durch Kunst und Literatur der
DDR wurden Faschismus und Judenverfolgung eindrucksvoll aufgearbeitet. Filme wie »Die Mörder sind unter uns«

oder »Die Abenteuer des Werner Holt« haben mich tief geprägt.

In der DDR hatten wir exzellente Faschismusforscher wie Kurt Gossweiler, Kurt Pätzold oder Walter Bartel.

Das waren Leute, die die Ursachen des Faschismus ergründet und dargelegt haben. Dies verstehen zu wollen, entsprach unserem wissenschaftlichen Anspruch und orientierte sich auch am Buchenwald-Schwur: Nicht ruhen, bis der Faschismus mit seinen Wurzeln ausgerottet ist.

MB: Welche Prozesse gegen Nazis sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

HB :Der prominenteste fand 1963 vor dem Obersten Gericht der
DDR gegen Hans Globke, rechte Hand von Bundeskanzler Konrad Adenauer, CDU, und Kommentator der Nazirassengesetze statt – in Globkes Abwesenheit.

Auch andere Naziprozesse in der DDR, die anfangs vom Innenministerium, MdI, und später vom Ministerium für Staatssicherheit, MfS, angestoßen wurden, sind öffentlich diskutiert worden.

Beispielsweise der gegen Heinz Barth, den Mörder von Oradour-sur-Glane, 1983 vorm Stadtgericht Berlin oder der gegen den Kriegsverbrecher Lothar Henry Schmidt vorm Dresdener Bezirksgericht 1987.

Das letzte Verfahren war 1989 vorm Bezirksgericht Rostock.

Am Ende hatte die DDR-Justiz etwa 13.000 Verurteilungen gegen Nazi-Kriegsverbrecher ausgesprochen, die der BRD weniger als 7.000.

Zum Globke-Prozess 1963 gab es parallel eine Ausstellung in der Berliner Friedrichstraße über die Verbrechen des Faschismus.

Zusammen mit anderen Studenten habe ich dort gearbeitet und Hunderte Gespräche mit Überlebenden wie dem Schriftsteller Peter Edel, aber auch mit vielen jungen Menschen geführt.

MB: Wurde bei der Strafverfolgung mit anderen Staaten kooperiert?

HB: Wir versuchten, Beweismaterial und Informationen anderer Staaten zu bekommen. So haben wir uns um ein Rechtshilfeabkommen mit der BRD bemüht. Doch die BRD hat sich bis zum Schluss geweigert, mit uns zusammenzuarbeiten.

Aber der DDR-Generalstaatsanwalt Josef Streit hatte Kontakt zum hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Beide waren Opfer der Nazis. So konnten mehrere Staatsanwälte von uns nach Frankfurt am Main reisen und Unterlagen übergeben, die auch im Auschwitz-Prozess genutzt wurden.

Die Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen war am Anfang auch schwierig. Die waren zunächst misstrauisch, denn da kamen nun Deutsche und baten um Hilfe. Später gab es engste Kooperation.

MB: Was motivierte und wie erfolgte die Verfolgung von Naziverbrechen?

HB: In der DDR wurde eine Arbeitsgruppe unter Albert Norden, Mitglied des Politbüros der SED, gebildet, die sich mit den Nazis in der BRD befasste. Im Ergebnis entstand das bekannte und noch aktuelle »Braunbuch« von 1965.

Der Rechtswissenschaftler Christiaan F. Rüter aus Amsterdam hat die Verfolgung für beide deutschen Staaten nach 1945 auf das »Unsere-Leute-Prinzip«, wie er es nannte, zurückgeführt. Er hat vor einigen Jahren verglichen, wie BRD und
DDR vorgegangen sind und hat Urteile, inklusive Begründungen, ausgewertet.

Dieses Prinzip greift bis heute und verhinderte erfolgreich die Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen in der BRD.

Rüter konstatiert für die DDR richtigerweise, dass maßgebliche Kreise sich aus Gegnern des Naziregimes rekrutierten, die nach Kriegsende aus KZ, Zuchthaus und Exil zurückkehrten.

MB: Wie wurde in der
DDR mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern umgegangen?

HB: In führenden Positionen war niemand von denen.

Einfache Parteigänger konnten nach dem Krieg in Archiven oder technischen Berufen auf unterer Ebene arbeiten.

Es gab aber auch Leute, die sich noch während der Herrschaft des Faschismus besannen und verdient gemacht haben.

Es wurde immer genau geprüft, wem man noch trauen konnte. Belastete wurden nicht zugelassen oder aus ihrem Amt entfernt.

MB: Nach wie vor werden SS-Angehörige und andere Mittäter in der BRD vor Gericht gestellt. Wie bewerten Sie das?

HB: Es ist richtig, denen den Prozess zu machen. Aber es ist im Vergleich zu den vielen, die man in der alten BRD nicht verfolgt hatte, eher ein Feigenblatt. Erst 2011 wurde mit Demjanjuk nach nunmehr geänderter Rechtsauffassung jemand verurteilt, weil er in der Buchhaltung eines KZ gearbeitet hatte. Damit wurden auch die mit administrativen Aufgaben Betrauten, als Mittäter verurteilt. Die Haupttäter hatte man weitestgehend von der Verfolgung verschont.

MB: Wurde es in der
DDR für möglich gehalten, dass der Faschismus wiederbelebt werden könnte?

HB: Wir waren zur Wachsamkeit aufgerufen. Aber es herrschte die Überzeugung, dass es in unserer Gesellschaft nicht wieder passieren kann. Vom einfachen Rowdytum über faschistische oder rassistische Äußerungen und Symbole, Verherrlichung von Faschismus und Militarismus bis hin zur Rassen- und staatsfeindlichen Hetze – strafrechtlich war das alles geregelt. Aber diese Überzeugung, wonach es bei uns keinen Boden für solche Ideologien gibt, ließ uns unvorbereitet gegenüber dem, was sich in den 1980er Jahren zu entwickeln begann.

MB: Was hat die Analyse dieser Anfänge ergeben?

HB: Da war der Einfluss der Westmedien auf die Jugend, später die zunehmende Einreise von Neonazikadern in die
DDR. Als gesellschaftlich relevantes Problem wurde das erst ab Mitte der 1980er gesehen.

Da waren diese Gruppen groß und vernetzt genug, dass ein Umdenken einsetzen musste.

Der Höhepunkt war der Angriff auf ein Konzert in der Berliner Zionskirche 1987.

MB: Welche Versäumnisse gab es?

HB: Zum einen haben wir über die neuen Erscheinungsformen nicht groß öffentlich berichtet, was in der allgemeinen Medienpolitik begründet war.

Nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – wie der Vorwurf aus dem Westen lautet.

Wir haben uns sehr genau überlegt, was in die Öffentlichkeit geblasen wurde und was nicht. Es hätte schließlich auch Anregung für Nachahmer sein können.

MB: Mit welcher Strategie wurde den Neonazis begegnet?

HB: Es gab unterschiedliche Positionen, wie vorzugehen sei.

Auch deshalb wurde verspätet reagiert.

Einzelne wollten mit den Fällen nicht an die Öffentlichkeit, andere wollten es nicht wahrhaben.

Es ging uns um eine gesamtgesellschaftliche Strategie. Dazu kam es nicht mehr.

MB: Wie sahen Sie das damals?

HB: Es lag für die Justiz auf der Hand, Härte gegenüber Gruppen zu zeigen, die eine faschistische und rassistische Kultur wiederaufleben ließen.

Aber das war ein Phänomen, auf das die Gesellschaft eine umfassendere Antwort finden musste.

Der gewisse Stillstand insgesamt zeigte sich auch in diesem Bereich.

Manche junge Menschen sahen keine Perspektive. Auch fehlte der Funke für den weiteren antifaschistischen Kampf.

MB: Und woran fehlt es heute?

HB: Zunächst hat sich die BRD nie den Antifaschismus auf die Fahnen geschrieben.

Im Gegensatz zur DDR, in der Antifaschismus nicht nur verordnet war.

Darüber hinaus liegt in der heutigen Diskriminierung vieler Menschen, besonders in Ostdeutschland, eine Ursache.

So laufen Leute den Rattenfängern von der AfD hinterher.

Das ist auch Ausdruck der Frustration.

Zumal kapitalistische Verhältnisse immer die faschistische Gefahr in sich bergen. Hinzu kommt die reaktionäre Politik in Deutschland.

MB: Was bedeutet Antifaschismus im Jahr 2019?

HB: An erster Stelle steht Friedensarbeit.

Denn Kampf um Frieden ist Kampf um Antifaschismus – und umgekehrt.

Dazu müssen sich die linken Kräfte zusammenfinden.

An der Basis muss zudem über Faschismus aufgeklärt werden, damit die Leute den Rechten nicht auf mehr auf den Leim gehen.

Im Osten muss der Unmut in der Bevölkerung von links beantwortet werden mit einer Perspektive für Würde und Anerkennung.

(Quelle: Junge Welt vom 28.08.2019)

 

Kurzbiografie Hans Bauer

Hans Bauer ist von Beruf  Gesellschaftswissenschaftler und Jurist.

Von 1966 - 1990 war er Staatsanwalt und Stellv. Generalstaatsanwalt der DDR.

Seit 1990 ist Hans Bauer Vorsitzender der GRH e.V.