CHINA ÜBT VERGELTUNG IM WIRTSCHAFTSKRIEG ÜBER
MIKROCHIPS
DURCH EINSCHRÄNKUNG GEWISSER ROHSTOFFE
5. Juli 2023
Westliche Konzerne machen weiter gute Geschäfte in Russland. Die Regierung
in Moskau sieht derzeit keinen Grund, das in rund zehn Tagen auslaufende
Abkommen zum Export von Getreide aus der Ukraine zu verlängern. Und im
Technologie-Streit mit den USA zieht China den nächsten Trumpf: Exportbeschränkungen
für in Mikrochips benötigte Rohstoffe.
[Westliche Konzerne machen weiter gute Geschäfte in Russland. Große
internationale Konzerne, die nach dem Einmarsch in der Ukraine in Russland
geblieben sind - darunter Philip Morris und Danone -
haben im vergangenen Jahr Hunderte von Milliarden Dollar an Einnahmen in dem
Land erzielt, wie ein neuer Bericht zeigt. Nach dem umfassenden Einmarsch
Moskaus im Februar 2022 zogen sich Dutzende internationaler Unternehmen aus
Russland zurück, um ihren Ruf zu wahren oder ihr Geschäft zu schützen - aber
diejenigen, die blieben, haben seitdem Milliarden von Dollar an Steuern auf
ihre Einnahmen an den Kreml gezahlt. The Business of Staying", ein Bericht des zivilgesellschaftlichen
Dachverbands B4Ukraine und der Kyiv School of Economics, ergab, dass globale Unternehmen im Jahr 2022
allein mit ihren russischen Geschäften 214 Milliarden Dollar Umsatz machten und
3,5 Milliarden Dollar an Steuern auf ihre Gewinne zahlten. (Politico)]
https://lostineu.eu/neues-vom-wirtschaftskrieg-215-china-uebt-vergeltung-im-streit-ueber-mikrochips/
Exportkontrollen durch China
China wird ab dem 1. August den Export von Gallium und von Germanium
strikter Kontrolle unterwerfen. Dies teilte das Handelsministerium in Beijing
am späten 3.7.2023 mit. Demnach wird die Ausfuhr der beiden Rohstoffe nicht
grundsätzlich verboten; sie ist aber nur noch mit einer offiziellen Lizenz
erlaubt. Diese wiederum kann erteilt, aber jederzeit auch versagt werden. Zur
Begründung heißt es, die strategischen Interessen und die Sicherheit der
Volksrepublik müssten gewahrt bleiben. Die Begründung gleicht derjenigen, mit
der die Vereinigten Staaten und mittlerweile auch die EU ihre Sanktionen gegen
China zu legitimieren suchen.
Die US-Sanktionen
Washington ist gerade dabei, seine Sanktionen erneut auszuweiten. In
größerem Stil hatte die Trump-Administration begonnen, chinesische
High-Tech-Konzerne mit Strafmaßnahmen zu schädigen – zumeist unter dem Vorwand,
entweder die Vereinigten Staaten vor chinesischen Spionage- und Hackattacken
schützen zu müssen oder aber die chinesische Aufrüstung zu bremsen. Zunächst
versuchten die USA, Huawei und einige weitere
chinesische High-Tech-Konzerne zu ruinieren, dies auch, indem sie Drittstaaten
nötigten, etwa beim Aufbau ihrer 5G-Netze auf chinesische Technologie zu
verzichten. Weiteren Einzelmaßnahmen folgte im vergangenen Herbst das Verbot,
Hochleistungschips in die Volksrepublik zu liefern; von dem Verbot betroffen
waren auch Maschinen zur Herstellung solcher Chips. Sogar Fachkräften mit
US-Staatsbürgerschaft oder auch nur einer permamenten
Aufenthaltsgenehmigung in den USA wurde die Tätigkeit für chinesische Konzerne
untersagt, die Hochleistungschips selbst entwickeln wollen.[1]
Unter US-Druck haben zuletzt – nach Japan – auch die Niederlande zugesagt, die
Lieferung von Maschinen zur Herstellung modernster Halbleiter nach China zu
unterbinden. Washington prescht unentwegt voran, will nun auch weitere Chips,
die für die Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI) benötigt werden, nicht mehr
liefern und plant sogar, chinesische Firmen von US-Cloudprodukten auszuschließen.[2]
Die EU-Restriktionen
Deutschland und die EU folgen, wenn auch noch in gewissem Abstand.
Offiziell bestehen Berlin und Brüssel darauf, man lehne eine Entkopplung (Decoupling) von China ab und habe nur vor, Risiken zu
vermeiden, die durch eine weitere Zusammenarbeit mit der Volksrepublik
entstünden (Derisking). Offiziell mündet dies unter
anderem in den Versuch, Vorprodukte nicht mehr aus der Volksrepublik, sondern
aus anderen Ländern zu beziehen, etwa aus Indien oder Vietnam. Hinzu kommen
weitere Schritte. Berichten zufolge ist Berlin dabei, dem US-Druck in Sachen Huawei nachzugeben und nicht nur ein weitreichendes Verbot
für die Nutzung von 5G-Technologie des chinesischen Konzerns zu verhängen,
sondern auch die Entfernung längst verbauter Huawei-4G-Technologie aus den
bestehenden deutschen Netzen vorzuschreiben.[3] Darüber hinaus hat die
EU-Kommission kürzlich eine neue Strategie zur Erreichung von
„Wirtschaftssicherheit“ präsentiert, die schärfere Kontrollen bei Exporten und
Investitionen vorsieht und in Wirtschaftsmedien völlig offen als
„Anti-China“-Strategie charakterisiert wird. Sie sieht ein sogenanntes Outbound
Investment Screening vor, das Firmen aus der EU verpflichtet, sich etwaige
High-Tech-Investitionen in China ausdrücklich genehmigen zu lassen. Investitionen,
mit denen ein nennenswerter Technologietransfer verbunden wäre, würden dann untersagt.[4]
Strategische Rohstoffe
China hat sich mit umfassenden Gegenmaßnahmen bislang zurückgehalten. In
einer ersten stärkeren Reaktion hat es im Mai Maßnahmen gegen den
US-Chiphersteller Micron verhängt und es untersagt,
dessen Produkte in der kritischen Infrastruktur der Volksrepublik zu nutzen. Micron erwirtschaftete bislang mehr als zehn Prozent seines
Umsatzes in China.[5] Nun folgen die erwähnten
Kontrollen beim Export von Gallium und Germanium. Beide werden vor allem in
China gefördert und aufbereitet. Das liegt nicht daran, dass es anderswo keine
Vorkommen gäbe, sondern daran, dass die Produktion sehr arbeitsaufwendig ist
und in China deutlich geringere Preise gezahlt werden müssen als im Westen.
Darüber hinaus sind die Umweltschäden teils gravierend, weshalb die Förderung
im Westen bislang unpopulär war. Nach Angaben der europäischen Critical Raw Materials Alliance (CRMA) produzierte China zuletzt
mehr als 60 Prozent des weltweit genutzten Germaniums sowie rund 80 Prozent des
global verwendeten Galliums. Germanium wird unter anderem für
Hochleistungschips, Glasfaserkabel und Solarzellen, aber auch für
Militärtechnologie, etwa für Nachtsichtgeräte, benötigt.[6]
Gallium wird gleichfalls für Hochleistungschips und für weitere elektronische
Produkte genutzt.
„Mindestens ein Jahrzehnt“
Die konkreten Auswirkungen der neuen Exportkontrollen sind schwer
abzuschätzen. Die EU importierte zuletzt rund 71 Prozent ihres Galliums und 45
Prozent ihres Germaniums aus der Volksrepublik. Sollte Beijing die Ausfuhr der
Rohstoffe ebenso einschränken, wie die EU und ihre Mitgliedstaaten China von
europäischer Technologie abschneiden wollen – etwa von niederländischen
Maschinen zur Chipproduktion –, träfe dies die Halbleiterbranche in der EU
schwer, eventuell auch die Halbleiterfabriken, die in Kürze mit staatlichen
Subventionen in zweistelliger Milliardenhöhe in der Bundesrepublik errichtet
werden sollen. Schaden nehmen würde auch die geplante Dekarbonisierung,
da die dazu nötigen Technologien ebenfalls auf Gallium und Germanium angewiesen
sind. Abgesehen davon, dass bei einer Verknappung des Angebots die Preise
dramatisch in die Höhe schnellen dürften, halten Spezialisten es für unmöglich,
die chinesischen Lieferungen auf die Schnelle zu ersetzen. Um sich „von Chinas
Rohstofflieferketten zu lösen“, werde der Westen noch „mindestens ein Jahrzehnt
brauchen“, wurde gestern Simone Tagliapietra von der
Denkfabrik Bruegel aus Brüssel zitiert.[7]
„Kein anderes Land“ könne den Bedarf an Gallium sowie an Germanium „derzeit
decken oder womöglich ausfallende Lieferungen ersetzen“, urteilt Peter Arkell, der Vorsitzende der Global Mining Association of China – „weder
kurzfristig noch mittelfristig“.[8]
Ziel: Eskalationsfähigkeit
Dabei hat China mit den am 3.7.2023 bekanntgegebenen Exportkontrollen seine
Optionen, die transatlantischen High-Tech-Sanktionen mit Gegenmaßnahmen zu
beantworten, noch längst nicht ausgeschöpft. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wies am 4.7.23 darauf hin, dass die Volksrepublik
ihre Restriktionen prinzipiell auch auf Lithium ausweiten könnte; dann gebe es
in Europa „ein ganz anderes Problem“, warnte Habeck.[9] Dabei sprach er
sich erneut lediglich dafür aus, nach Unabhängigkeit von China zu streben. Dies
dient dem Ziel, im transatlantischen Machtkampf gegen die Volksrepublik weiter
eskalationsfähig zu sein. Die Möglichkeit, den Wirtschaftskrieg gegen China zu
beenden und zu Zusammenarbeit überzugehen, erwähnte der Minister nicht.
[1] S. dazu
„China niederkonkurrieren“.
[2] Yuka Hayashi, John D.
McKinnon: U.S. Looks to Restrict China’s Access to Cloud Computing to Protect
Advanced Technology. wsj.com 04.07.2023.
[3] S. dazu Das Decoupling beginnt.
[4] Carsten Volkery: EU stellt Anti-China-Pläne
vor. handelsblatt.com 20.06.2023. S. auch Mit Investitionsverboten gegen China.
[5] S. dazu Eigenbeschuss im
Halbleiterkrieg.
[6] China weitet Handelsstreit auf wichtige Chip-Rohstoffe aus.
manager-magazin.de 04.07.2023.
[7] Sabine Gusbeth: China führt Exportkontrollen
für seltene Metalle ein. handelsblatt.com 04.07.2023.
[8] China weitet Handelsstreit auf wichtige Chip-Rohstoffe aus.
manager-magazin.de 04.07.2023.
[9] Chinas Rohstoffbeschränkungen machen Habeck
Sorgen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.07.2023.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9287