von Armin Siebert am
17.8.2019
Zu
Herr Domke, Sie sind Physiker und waren zu
Ich wusste von ihr, weil unsere Väter Kollegen waren. Ich wusste auch, dass
sie Physik studiert hat in Leipzig. Zu einer persönlichen Begegnung kam es aber
erst nach der Wende im Zusammenhang mit der De-Maiziere-Regierung und dann in
Moskau bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen.
Wo waren Sie am Abend des 9. Novembers 1989?
Da saß ich an meinem Schreibtisch in Potsdam. Ich habe die Pressekonferenz
von Schabowski gesehen und dachte, ok, dann kann ich also jetzt bei Gelegenheit
einen Antrag auf Besuch im Westen stellen. Das war ja Donnerstagabend, und
Freitag hatte ich sowieso keine Zeit, weil ich da eine Sitzung der Konferenz
der Kirchenleitungen hatte. Dann bekam ich um halb zwölf nachts einen Anruf aus
Freiburg im Breisgau von einem Bekannten aus Kirchenkreisen im Westen, der
völlig aufgelöst und den Tränen nahe war und mir erzählte: Die Leute tanzen auf
der Mauer rum. Ich bin dann erst am Freitagabend nach der Sitzung über die
Oberbaumbrücke in den Westteil gegangen.
Sie wurden dann bei den freien
Die Berufung ins Außenministerium war schon eine erhebliche Überraschung für
mich. Das hatte den Vorlauf, dass ich schon viele Jahre im Rahmen der
kirchlichen Friedensarbeit mit Markus Meckel (
Sie sprachen Englisch und Russisch – sicher auch ein Vorteil
damals?
Ja. Und mein erster großer internationaler Einsatz war der politische
beratende Ausschuss als das oberste Gremium des Warschauer Pakts. Und da sah
Gorbatschow dann plötzlich im Vergleich zu der vorherigen Sitzung so ein
dreiviertel Jahr vorher eine völlig andere Runde im Präsidentenhotel in Moskau.
Damals waren ja noch Leute wie Ceaușescu (Nicolae Ceaușescu,
Staatspräsident Rumäniens von 1965 bis 1989 – Anm. d. Red.) dabei und
jetzt plötzlich Vaclav Havel (von 1989 bis 2003 Staatspräsident der
Tschechoslowakei und später der Tschechischen Republik – Anm. d. Red.) und de Maiziere. Das war schon sehr spannend.
Wie wichtig war Gorbatschow für die deutsche Einheit?
Extrem
wichtig. Und bis Ende Mai/Anfang Juni 1990 war ja noch nicht klar, ob die
Sowjetunion einer Nato-Zugehörigkeit eines vereinten Deutschlands einwilligen
würde. Gorbatschow berichtete auch auf dieser Sitzung des Warschauer Paktes
Anfang Juni über seine Gespräche darüber mit Bush (George Bush, von 1989
bis 1993 Präsident der Vereinigten Staaten – Anm. d. Red.), die er kurz
zuvor in Helsinki geführt hatte. Und da deutete er an, dass die vorher doch
sehr harte Position der Sowjetunion in dieser Frage nicht gehalten
wird.
Die
Sowjetsoldaten sind friedlich abgezogen, die Nato ist vorgerückt bis an die
russische Grenze. Hätten Sie damit gerechnet vor dreißig Jahren?
Nein, auf keinen Fall. Es gab ja damals auch noch den Warschauer Pakt.
Wir
beim
Die Sicherheitsarchitektur in Europa sollte
von der deutschen Einheit profitieren.
Sie konnten sich aber nicht durchsetzen mit Ihren Vorstellungen?
Nein. Wobei es natürlich Entwicklungen gab. Die USA zogen einen Großteil ihrer taktischen Atomwaffen aus der
Bundesrepublik ab.
Der Abzug der sowjetischen Streitkräfte stand auf der Tagesordnung.
Die Nato erklärte mit der Londoner Erklärung Anfang
Juli 1990, sie hätte keinen Feind mehr.
Daran könnte sich die Nato heute ruhig mal wieder erinnern.
Das waren alles Schritte der Vertrauensbildung und auch Brücken für die
Sowjetunion, dass sie der Nato-Mitgliedschaft (!!) des vereinten Deutschlands
eher zustimmen konnte. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde dem dann noch Rechnung
getragen durch den Punkt, dass keine ausländischen Truppen auf dem Gebiet der
ehemaligen
Aber es gab ja zumindest die mündlichen Aussagen von Genscher (Hans-Dietrich
Genscher, von 1982 bis 1992 Außenminister der Bundesrepublik – Anm. d. Red.)
und Baker (James Baker, von 1989 bis 1992 Außenminister der Vereinigten
Staaten – Anm. d. Red.) in Moskau, auf die man sich verlassen hatte. Die
Osterweiterung der Nato war also kein Vertragsbruch, aber ein Wortbruch. Das
wirkt für die osteuropäische Mentalität manchmal schwerer als ein formeller
Vertragsbruch.
Nach der deutschen Einheit waren Sie für den Abzug der
sowjetischen bzw. russischen Streitkräfte von dem Gebiet der ehemaligen
Wir waren daran interessiert, dass das in einem guten Geist verläuft. Wir
wussten 1990 noch nicht, dass die Sowjetunion so schnell zusammenbrechen würde,
aber der wirtschaftliche Niedergang war natürlich mit den Händen zu greifen.
Entsprechend wussten wir, dass der Abzug für die 380.000 Soldaten und Offiziere
und etwa 200.000 Familienangehörigen, darunter übrigens 67.000 Schüler,
vorbereitet werden musste. Aus russischer Sicht ist dieser Abzug zu einer
stärkeren sozialen Belastung geworden, als das vorhersehbar war. Es gab zwar
für sie in der Sowjetunion die Vereinbarung, im Rahmen des Abzugvertrages etwa
76.000 Wohnungen zu bauen, wobei die Sowjetunion die Hälfte der Kosten tragen
sollte, wozu sie aber nicht mehr in der Lage war. Das war also äußerst
schwierig. So ist es auch heute noch für mich erstaunlich, dass der Abzugsplan
wie ein Uhrwerk lief, obwohl es nach einem Jahr einen Putsch in Moskau gab, die
Sowjetunion aufgelöst und 1993 noch einmal das Weiße Haus in Moskau beschossen
wurde.
Es gab in der
Es gab schon viele Sowjetfreunde. Wobei natürlich nicht jedes DSF-Mitglied
ein aktiver Promoter der deutsch-sowjetischen Freundschaft war. Aber es gab die
Freundschaftszüge, es gab viele Kontakte zwischen Schulen, Brieffreundschaften
und auch in den Russen-Magazinen (in der
Nach der Wende haben sich die Millionen Freunde der Sowjetunion
in der
Nach meinen Erfahrungen schon vom Studium in Leningrad und später in den
Funktionen, die ich dann hatte, sah ich mich schon in einer gewissen
Pflicht. Die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft hatte natürlich
nach dem Fall der Mauer einen erheblichen Mitgliederschwund. Eine
Massenorganisation war dann ja auch nicht mehr möglich. Es gab aber immer noch
viele aktive Freunde der Sowjetunion, die regionale Freundschaftsorganisationen
gründeten und dafür auch Startkapital aus dem Vermögen der DSF bekamen. Nach
einem Tauziehen bis 1994 wurde entschieden, dass mit dem Rest des Vermögens,
etwa 30 Millionen D-Mark, eine Stiftung gegründet wurde, um
zivilgesellschaftliche Kontakte zwischen Deutschland und dem postsowjetischen
Raum zu unterstützen. Und das haben wir dann auch gemacht.
Man hört jetzt wieder verstärkt, dass die Ostdeutschen ein
besonderes Verhältnis zu Russland haben. Was ist nach der Wende geblieben von
der Freundschaft zu Russland?
Ich denke schon, dass da etwas dran ist, wie ja auch die Umfragen beweisen.
Schon der Abzug der Sowjetsoldaten sollte ein Beitrag werden für dauerhaftere
Beziehungen. Sie sollten in Würde abziehen. Die Sowjetsoldaten in der
Helmut Domke (76) war von 1966 bis 1990
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Astrophysikalischen Observatorium Potsdam der
Akademie der Wissenschaften. 1972 wurde er an der Mechanisch-Mathematischen
Fakultät der Universität Leningrad promoviert und habilitiert. Parallel engagierte
sich Domke in der Synode der Evangelischen Kirchen in der
Im Zuge der Regierungsbildung nach den Volkskammerwahlen am 18. März
1990 wurde Helmut Domke zum Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten
ernannt. In dieser Funktion war er Delegationsleiter der
Seit ihrer Gründung 1994 engagiert sich Domke in der Stiftung West-Östliche
Begegnungen, deren Vorstandsvorsitzender er von 2004 bis 2017 war.