Bundesrepublik: Ermordung
des Kasseler Regierungspräsidenten Lübke
Ein Kommentar von Susan Bonath
Es war
eine gezielte Hinrichtung. Kopfschuss, abgefeuert aus einer Kleinkaliberwaffe, also
einer Pistole oder einem Revolver, aus nächster Nähe. Das stand ziemlich
schnell fest, nachdem der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke am
vergangenen Wochenende in einer Blutlache auf der Terrasse seines Hauses in
Wolfhagen-Istha gefunden wurde. Die Waffe fehlt, Suizid schließen die Ermittler
aus. Just in der Nacht seiner Tötung fand keine hundert Meter vom Tatort
entfernt eine Kirmes statt, was eine Funkzellenabfrage massiv erschwert. Alles
spricht für eine geplante Hinrichtung des CDU-Politikers. Angesichts dessen
hält sich die Empörung in den Medien und der Politik in merkwürdigen Grenzen.
Nach den G20-Protesten war das ganz anders. Von Springer über Bauer bis
Madsack. Die Journallie kochte über mit Spekulationen und Fahndungsaufrufen.
Lübckes Hinrichtung nimmt weniger Raum ein. Auf rechtsextremen Portalen feiert
der Mob sie sogar. Auf der Facebookseite der AfD Greiz-Altenburg hieß es
beispielsweise hämisch: „nun hast du Deutschland verlassen. Haha.“Lübcke wurde
2015 zum Hassobjekt der rechten Szene. Ja, auch CDU-Politiker können in deren
Visier geraten, wenn sie der „Merkel-Fraktion“ angehören. Auch wenn diese in
der Realität ihre sozialdarwinistische Politik ziemlich nah an der Seite der
AfD betreibt, werfen ihr Rechtsextreme vor, sie habe die Grenzen für
Flüchtlinge geöffnet. Hier beginnt bereits die Lüge: Die Grenzen waren 2015
bereits offen. Man hat sie nur nicht abgeriegelt. Lübcke setzte im Oktober 2015
die Errichtung einer Erstaufnahmestelle durch. Bei einer Infoveranstaltung wehrte
er Attacken aus dem Kasseler Pegida-Ableger ab, bestand darauf, „grundlegende
christliche und zivilisatorische Werte“ einzuhalten. „Wer diese Werte nicht
vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, sagte der CDU-Mann damals. Dies
sei „die Freiheit eines jeden Deutschen“ In der Folge wurde er mit
Morddrohungen überschüttet. Auf einer Pegida-Kundgebung in Dresden Ende 2015
forderte der rechtsextreme Schriftsteller Akif Pirinçci Lübckes »Ausreise« und
bedauerte, dass »die KZs leider außer Betrieb« seien. Das AfD-nahe Blog Politically
Incorrect(PI) veröffentlichte Lübckes private Daten, darunter die Wohnadresse.
Kommentatoren riefen zu Hausbesuchen auf. Wegen der Drohungen erhielt der
Regierungspräsident zeitweise Polizeischutz. Immer wieder verbreiteten rechte
Blogs ein Video von Lübckes Aussage. Jedes Mal kochte der Hass über. Für
Reichweite sorgte dabei zuletzt im Februar auch die ehemalige CDU-Abgeordnete
Erika Steinbach. Eine weitere offene Frage lautet: Was wusste das Opfer über
den NSU-Komplex? Hatte Lübcke womöglich Kenntnis über Einzelheiten zum
Ex-Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas Temme? Wir erinnern uns: Temme arbeitete für die
Kasseler Außenstelle des hessischen Verfassungsschutzes. Bei dem Mord an Halit
Yozgat im Jahr 2006 in einem Internetcafé war Temme am Tatort. Kurzzeitig stand
er unter Mordverdacht. Landesinnenminister war damals Hessens heutiger
Ministerpräsident Volker Bouffier. Zu seinem Parteikollegen Lübcke pflegte
dieser nach eigenen Angaben ein freundschaftliches Verhältnis. Bouffier soll
Temme persönlich gekannt haben. Als gegen diesen kurzzeitig ermittelt wurde,
zog er ihn ins Regierungspräsidium Kassel ab, dem Lübcke seit 2009 vorstand. Es
könnte gut sein, dass Walter Lübcke mehr über den Fall Temme wusste, als
jemandem lieb war. Lübcke galt als offen und gesprächig. Darüber hinaus gibt es
etliche Hinweise auf Verbindungen hessischer Beamter in das rechtsextreme
Milieu. Seit Ende vergangenen Jahres ermittelt das Landeskriminalamt gegen ein
mutmaßliches rechtsextremes Netzwerk in der hessischen Polizei unter anderem
wegen Volksverhetzung. Die Gruppe der verdächtigen Beamten weitet sich seither
ständig aus. Im März standen bereits 38 Polizisten im Visier des LKA.
Wahrscheinlich stecken diese auch hinter Morddrohungen gegen die Frankfurter
Anwältin Seda Basay-Yildiz und ihre kleine Tochter. Klar ist, dass die
Drohschreiben per Fax von einem Polizeicomputer an die Nebenklageanwältin im
NSU-Prozess abgeschickt wurden. Unterschrieben waren sie mit „NSU 2.0“. Rechtsextreme
Umtriebe im Staatsapparat gibt es nicht nur in Hessen. Seit Jahren fliegen
immer wieder Verbindungen zwischen Polizei oder Militär und militanter Neonazi-Szene
auf, ob in Sachsen oder Baden-Württemberg, Thüringen oder Sachsen-Anhalt,
Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern. Und die AfD ist immer mittendrin. Auch der
Waffenschmuggler und Bundeswehrsoldat Franco A. und sein Komplize Maximilian T.
gehörten dieser Partei an. Die beiden horteten Waffen, Munition und Sprengstoff
und planten terroristische Anschläge. Allerdings ließ man sie nach nur sieben
Monaten Ende 2017 wieder frei. Der Bundesgerichtshof meinte, es sei ihnen nicht
hinreichend nachzuweisen, ob ihr Entschluss zu einem Anschlag tatsächlich ganz
konkret feststand. Kuscheljustiz für Nazis halt. Aber nein, sorry, es sind ja
nur besorgte Bürger. Arme Opfer halt, die sich nur mal ein bisschen wehren,
gegen „linksgrünversiffte Gutmenschen, Merkel und ihre Gäste“und so. Nun ja, es
ist zu befürchten, dass diese „besorgten Bürger“ bald grünes Licht bekommen.
Das zeigt nicht nur der Einheitsbrei aus rechten Terrorbanden, AfD, Politik und
Staat. Auch immer weitere Teile des Großkapitals stellen sich auf deren Seite.
So rügte BDI-Chef Dieter Kempf kürzlich, die „Große Koalition“ schade der
deutschen Industrie. Denn sie stehe für das „mutlose Abarbeiten kleinteiliger
Sozialpolitik und ein ungesundes Maß an Umverteilung “.Klar, er halluziniert
von einer Umverteilung nach unten, die schlechterdings nicht existiert. Und
Kempf weiß auch, wie er die Profitspirale nach oben kräftig ankurbeln will:
Europa brauche, so Kempf, „gerade jetzt angesichts wachsender Herausforderungen
der Weltwirtschaft ein handlungsfähiges Deutschland mit einer
entscheidungsstarken Regierung“. Ich übersetze das mal: Der Markt will bedient
werden. Dummerweise schwächelt die ressourcenintensive Industrie gerade. Es
braucht halt nicht jeder jedes Jahr ein neues Auto. Und die Rohstoffe sind auch
nicht mehr so üppig zu holen. Da muss man mehr von unten abziehen. Am besten
geht das mit einem autoritären, gut bewaffneten Regime. Und natürlich mit der
NATO. Zu den NATO-Parteien gehören nicht nur Union,