Brasilien „Auf der Seite der Diplomatie“ überrascht O. Scholz mit
Friedensangebot
In offenem Widerspruch zu Deutschland und den anderen westlichen Mächten weist Brasilien jegliche Waffenlieferung an die Ukraine zurück und dringt auf eine Vermittlungsinitiative zur Beendigung des Ukraine-Kriegs. Brasilien verstehe sich als „Land des Friedens“ und lehne jede Beteiligung an dem Krieg ab, antwortete Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Montag beim Besuch von Kanzler Olaf Scholz auf die Forderung Berlins, Kiew Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard zur Verfügung zu stellen. Statt den Krieg immer nur mit weiteren Waffen zu befeuern, müsse eine Vermittlungsinitiative gestartet werden. Lula urteilt, besonders China, aber auch Indien und Indonesien könnten dazu einen Beitrag leisten. Scholz unterstützt die Initiative aus dem Globalen Süden für eine Beendigung der Kämpfe nicht; am Montag erhob er vielmehr Einwände gegen sie. Dabei dringen immer mehr Regierungen besonders im Globalen Süden auf eine Verhandlungslösung; zuletzt sprachen sich zum Beispiel Kolumbien und Ägypten, aber auch Israel dafür aus. Damit zeichnet ein Gegenpol zum Bestreben des Westens ab, seine bisherige globale Dominanz in und mit dem Ukraine-Krieg zu behaupten.
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https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9150
Pressekonferenz
mit Scholz:
Brasiliens Lula lässt die Luft aus der deutschen Blase
Von Gert Ewen Ungar
Brasiliens Präsident Lula sei ein Schwurbler,
meint der Focus. Dabei macht er nur deutlich, dem deutschen Narrativ über den
Krieg in der Ukraine folgt man im Ausland nicht. Lula hält die EU und
Deutschland zudem für unfähig, eine Friedenslösung zu finden und nimmt ihnen
das Heft des Handelns aus der Hand.
Der Besuch von Bundeskanzler Scholz in Brasilien brachte es auch für die
deutschen Gazetten ans Licht: Die unter kräftiger Mithilfe des deutschen
Journalismus von deutscher Politik hierzulande durchgesetzte Erzählung von
einem russischen Angriffskrieg auf eine völlig unschuldige Ukraine aus dem
Blauen heraus und ohne jede Vorgeschichte wird in anderen Teilen der Welt nicht
mitgetragen. Diese Teile stellen die Mehrheit. Auf der gemeinsamen
Pressekonferenz in Brasilia von Bundeskanzler Scholz und dem erst kürzlich
erneut ins Amt gewählten brasilianischen Präsidenten Lula da Silva schwammen
Scholz die Felle davon.
Lula wählte ein etwas anderes als das übliche Format. Statt dem Aufsagen eines
vorbereiteten und abgesprochenen Textes, wie es sonst bei Pressekonferenzen
anlässlich von Staatsbesuchen üblich ist, stellte er sich den Fragen von
Journalisten. Er tat dies sichtlich zur Überraschung des Bundeskanzlers. Der
Schritt Lulas war offenbar nicht abgesprochen.
Und dann bekommt Scholz und mit ihm das politische Deutschland einen
Realitätscheck verpasst, der sich gewaschen hat. Nein, es gibt keine
Waffenlieferungen und nein, Putin ist am Krieg nicht alleine Schuld.
Ja, es gibt eine Entwicklung hin zum Konflikt, an dem die NATO ihren Anteil hat.
Die deutsche Journaille verfiel reflexartig in Schnappatmung. Darüber hinaus
fängt sich Lula – wie das im deutschen Journalismus inzwischen üblich geworden
ist, wenn jemand nicht devot vor der veröffentlichten Meinung kuscht – das
Prädikat "Schwurbler" ein. Der Focus
beispielsweise griff zu diesem stilistischen Mittel, das allerdings von
geringer Souveränität zeugt.
Zu diesem Begriff zu greifen, war schon in Corona-Zeiten ein Zeichen der
Schwäche und der mangelnden Fähigkeit zur inhaltlichen Auseinandersetzung.
Jetzt ist das Totschlagargument allerdings noch deplatzierter als damals, denn
Lula und Brasilien schwurbeln nicht allein. Der
Großteil der Welt teilt Brasiliens Auffassung von einer Eskalation in Richtung
Krieg, an der sowohl die Ukraine, als auch die EU, Deutschland sowie die NATO
und die Vereinigten Staaten eklatante Schuld tragen.
Das deutsche Narrativ, das von einer demokratischen und unschuldigen Ukraine
erzählt, die vom autoritären Russland brutal überfallen wurde, hat außerhalb
von Deutschland keine Geltung. Das ist eine gute Nachricht. Die deutschen
Gazetten sollten sich daher darauf einstellen, dass ihr Geschwurbel
von "Putins brutalem Angriffskrieg" auch in Deutschland immer weniger
verfängt. Das Narrativ wird sich nicht halten lassen, denn es ist den Fakten
unangemessen und daher falsch.
Und sie sollten sich noch auf etwas einstellen, wurde auf der Pressekonferenz
deutlich. Der EU und Deutschland wird nicht nur die Deutungshoheit über den
Konflikt entzogen. Sie werden auch bei der Suche nach einem Weg aus dem
Konflikt hin zum Frieden an den Rand gestellt. Lula hat klar
gemacht, Deutschland und die EU werden bei einer Suche nach einer neuen,
stabilen Sicherheitsarchitektur für Europa nicht gebraucht, das erledigen
andere Mächte. Lula hat deutlich gemacht, dass seine Friedensinitiative an der
EU und Deutschland vorbei führen wird.
Lula nennt explizit China als möglichen Partner für Vermittlungen. Auch die
Türkei hat sich vielfach angeboten und kommt als Partner für die
Friedensinitiative in Frage, denn sie hat ihre Fähigkeit zur diplomatischen
Vermittlung bereits unter anderem im Rahmen des Getreideabkommens unter Beweis
gestellt. Lula hat damit auch gesagt, wer künftig die Geschicke Europas
gestaltet. Es ist nicht die EU und es ist auch nicht Deutschland.
Denn wer für eine Teilnahme an seiner Friedensinitiative nicht in Frage kommt,
sind Baerbock, von der Leyen, Borell
und all die anderen, die der immer weitergehenden Eskalation Vorschub
leisteten. Diejenigen, die Gesprächen, diplomatischen
Initiativen und Verhandlungen eine Absage erteilten, werden nun selbst
ausgeschlossen. Der Westen hat sich marginalisiert. Auch das ist eine gute
Nachricht.
Der FAZ erkennt in einem Kommentar die Zeichen der neuen Realität, in der sich
Scholz plötzlich wiederfindet. Von den Deutschen wird die Augenhöhe künftig
erzwungen werden. Die Zeit der folgenlosen Lippenbekenntnisse ist vorbei.
"In gewisser Weise erlebt der Westen auf solchen Besuchen die Umkehr alter
Verhältnisse und die neue Realität der multipolaren Welt", schreibt die FAZ.
Der Ukraine-Konflikt wird künftig als Wendepunkt gelten.
Allerdings hofft die FAZ, dass sich die EU das Heft des Handeln nicht
aus der Hand nehmen lässt. Es sei für Europa wichtig, wie dieser Krieg endet,
meint der FAZ-Kommentator Nikolas Busse. Dass aber die EU oder
Deutschland weiter die Entwicklung bestimmen, genau das darf nicht passieren,
denn die EU, die NATO und auch Deutschlands streben einen Sieg der Ukraine über
Russland an. Dieses Ziel ist nicht realistisch und führt zu immer weiterer
Eskalation.
Es bedarf anderer Kräfte und Mächte, um diesen Konflikt zu beenden. Die EU und
Deutschland sind dazu ungeeignet. Sie haben ihre mangelnde Eignung jahrelang
bewiesen. Sie hatten zahllose Gelegenheiten, ihre Friedensfähigkeit unter
Beweis zu stellen und haben es nicht getan. Sie bekommen jetzt hoffentlich
endlich ihren Platz zugewiesen und werden sich fügen. Deutschland war der
moralischen Verantwortung, die dem Land nach der Wiedervereinigung
zugekommen ist, ohnehin nie gewachsen.
"Wir sind ein Land, das sich dem Frieden verpflichtet sieht", hat
Lula neben dem deutschen Kanzler stehend gesagt. Damit hat er auch gesagt,
welches Land er offenbar für nicht dem Frieden verpflichtet hält, denn er lehnt
mit dieser Bemerkung die Forderung des Bundeskanzlers nach Lieferung von
Munition für deutsche Panzer in der Ukraine ab. Und Lula hat recht.
Spätestens seit 2014, seit dem Putsch in der Ukraine, beweisen Deutschland und
die EU, dass sie zum Frieden in Europa nichts beizutragen haben. Stattdessen
ging es Deutschland und der EU um Ausdehnung von Einflusssphären, um Zugewinn
an Macht, um imperialistische Interessen. Außerhalb der deutschen Blase sieht
man das und weiß es einzuordnen. Man sieht auch, dass all die Waffenlieferungen
nicht der Ukraine dienen. Die Ukraine wird durch den westlichen Unwillen zum
Frieden vollständig zerstört. Die Ukraine erbringt das größte Opfer für
westliche imperiale Politik.
Was in diesem Kontext außerhalb der deutschen Medienblase ebenfalls nicht
verfängt, ist das bizarre Argument, dass die Ukraine zwar bedingungslos
militärische und finanzielle Unterstützung bekommt, ihre Kriegsziele aber
selbständig und ohne ausländische Einflussnahme festlegt. Diese Behauptung
überhaupt aufzustellen, ist schon mehr als verschroben. Zu erwarten, dass sie
weltweit geglaubt wird, hat die Grenze zum politischen Irrsinn jedoch längst
überschritten. Natürlich könnte der kollektive Westen diesen Krieg sofort
beenden, wenn er es denn wollte. Er will aber nicht.
Die Ukraine ist vollständig abhängig und damit auch weisungsgebunden. Serbien
und Ungarn können gerade ein Lied davon singen, was passiert, wenn man ein
bisschen eigenen Willen zeigt und Entscheidungen fällt, die zwar im eigenen
Interesse aber nicht ganz im Interesse der EU liegen. Dann bekommt man die Brüsseler
Knute zu spüren. Dass die Ukraine diese Knute aktuell nicht zu spüren bekommt,
bedeutet, sie macht aus Brüsseler Sicht alles richtig. Die EU will den Krieg.
Weil dieses Argument eine angeblich vollständigen politischen Souveränität der
Ukraine bei gleichzeitiger vollkommener wirtschaftlicher und militärischer
Abhängigkeit so unglaublich schräg ist, ist auch klar, dass die Welt außerhalb
des kollektiven Westens verstanden hat, dass der Westen diesen Krieg will. Es
wäre schön, wenn deutsche Medien die absurde Argumentation zumindest nicht
wiederholen würden, wenn sie sich schon nicht in der Lage sehen, sie zu
hinterfragen. Es lässt sie reichlich dumm wirken.
Die Pressekonferenz von Scholz und Lula sendet ein deutliches Signal: Es gibt
eine neue Weltordnung. Sie ist multipolar und Deutschland hat darin nichts zu
sagen. Lula hat Deutschland und die EU auf die Plätze verwiesen. Er hat auch
deutlich gemacht, dass Deutschlands vor sich hergetragener Führungsanspruch
keine Zukunft hat. Deutschland wird in den nächsten
Jahren immer weiter absteigen.
Die deutschen Gazetten sollten sich schonmal ein
Narrativ ausdenken, wie sie diesen Abstieg und Wohlstandverlust für ihre Leser
schön verpacken können. Aber bitte nicht schwurbeln.
https://meinungsfreiheit.rtde.life/meinung/161632-pressekonferenz-mit-scholz-brasiliens-lula/
1.2.2023