Berichte vom Klassenkampf
von Arnold
Schölzel
Unter der Überschrift »Hier herrscht
Klassenkampf« veröffentlicht Die Zeit am 5. Januar in ihrem
Wirtschaftsteil eine Reportage von Caterina Lobenstein. Untertitel: »In der
Arbeiterstadt Bitterfeld ist die AfD stärkste Partei. Ihre Wähler haben nicht
nur mit Flüchtlingen ein Problem, sondern auch mit dem Kapitalismus«. Im Feuilleton
derselben Ausgabe berichtet Christoph Dieckmann unter dem Titel »Abbau Ost«:
»Eine der reichsten Kulturlandschaften Europas zerfällt: In Sachsen werden
Tausende Baudenkmale abgerissen«. Am 6. Januar heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in der Schlagzeile zu einer Reportage von Stefan
Locke über eine Jahreshauptversammlung ehemaliger Bergleute zwei Tage zuvor im
sächsischen Borna: »Die Wunden des Umbruchs«. Und weiter: »Die Wut, die viele
im Osten empfinden und für die Pegida und AfD zum Ventil werden, hat auch mit
Kränkungen der Nachwendezeit zu tun. Langsam beginnt die Aufarbeitung«.
Zumindest einige der Bewohner
des Beitrittsgebiets haben, zeigen die drei Texte, nach 25 Jahren des Duckens
vor »Unrechtsregime«- oder »Alles Spitzel und Nazis«-Gebrülls die Nase voll.
Der FAZ-Korrespondent beschreibt z. B., dass einem im Jahr
2000 pensionierten Bergmann der
Beispiel Bitterfeld: Mit mehr
als 200 Millionen Euro Steuermitteln wurde in früheren Tagebaulöchern der See
Goitzsche geschaffen. Vor drei Jahren aber verkaufte die Kommune große Teile an
die Firma »Blausee«. Die habe sich auf die »Privatisierung von Landschaften
spezialisiert«, berichtet die Zeit-Autorin: »Sie gehört
den Erben des Pharmaunternehmers und Multimilliardärs Adolf Merckle.«
Lobenstein zitiert den 2016 direkt in den Landtag von Sachsen-Anhalt gewählten
örtlichen AfD-Abgeordneten mit: »Die da oben, das sind die, die die Goitzsche
kriegen.« Im AfD-Wahlkreisflyer
taucht das Wort »Flüchtling«, so Lobenstein, »kein einziges Mal« auf: »Statt
dessen geht es um benachteiligte Rentner, um Kürzungen bei der Feuerwehr, um
Arbeiterviertel, die abgerissen, und Schulen, die geschlossen werden.« Und die Autorin spricht mit einer Frau, die wie ihre
700 Kolleginnen und Kollegen täglich zwei Tonnen stinkende Altkleider in einer
Recyclingfirma sortiert, Einkommen »knapp über dem Mindestlohn«. Sie erlebt
Flüchtlinge als Konkurrenten um den prekären Job. Die würden z. B. für Gänge
zum Sozialamt oder zur Ausländerbehörde freigestellt, während sie nie Behörden
in der Arbeitszeit aufsuchen durfte. Ihr Fazit: »Kohl hat uns verarscht, und
Merkel hat vergessen, wo sie herkommt.«
Wer sehen wollte, konnte verordnete
Armut seit dem
Quelle: http://www.jungewelt.de/2017/01-07/066.php 07.01.2017 / Wochenendbeilage /