Forsches
Deutschland verwirrt in der Iran-Frage
von M.K.BHADRAKUMAR * am 10.12.2020
Der russische Außenminister Sergej Lawrow ging in einer Rede
in Moskau am 8. Dezember auf die westlichen Versuche der letzten Zeit ein, das
Modell einer unipolaren Weltordnung aufrechtzuerhalten. Er sagte, dass sich die
Europäische Union von der Idee verabschiede, ein Pol in einem multipolaren
System zu sein, und warnte vor der jüngsten Politik Deutschlands, die darauf
abziele, "seinen Anspruch auf die volle Führung" der EU zu behaupten.
Tatsächlich ist mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU und der
innenpolitischen Krise Frankreichs die Zeit gekommen, dass Deutschland die
Führung in Europa übernimmt. Eine beunruhigende Schablone dafür ist
Deutschlands aggressive Rückkehr zum Militarismus. Erst letzten Monat forderte
die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer trotz der Coronavirus-Pandemie eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben.
Der deutsche Militarismus hatte jahrzehntelang geschlummert. Damit es nicht in
Vergessenheit gerät: Die Bundeswehr hatte bei ihrer Gründung 1955 44 Generäle
und Admirale vereidigt, die alle zuvor Hitlers Wehrmacht angehörten, vor allem
aus deren Generalstab. Von den 14.900 Berufssoldaten, die 1959 das
Offizierskorps bildeten, waren 12.360 Wehrmachtsoffiziere, von denen 300 aus
der Führung der gefürchteten SS kamen.
Zweifellos tat Deutschland gut daran, den Kopf unter der Brüstung zu halten und
die Tatsache zu verschleiern, dass die Bundeswehr eine Kontinuität der
Wehrmacht ist. Schon 2005 schrieb der Spiegel: "Heute ist die Bundeswehr
eines der mächtigsten Instrumente der deutschen Außenpolitik. Seit der
Wiedervereinigung hat die einst schwerfällige Organisation einen Prozess
ständiger Verschlankung, Modernisierung und technischer Aufrüstung
durchlaufen... Die Bundeswehr... entwickelt sich von einer Verteidigungs- zu
einer Interventionsarmee."
In der Tat haben sich in den letzten Jahren die Traditionen der deutschen
Herrschaftselite und ihr Militarismus herauskristallisiert. Wir sind Zeugen der
Umwandlung der Bundeswehr in eine Kriegsmaschine, die in der Lage ist, deutsche
Interessen in der ganzen Welt zu verteidigen.
In einer Rede zum 65. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr sagte
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier letzten Monat, dass Europa auch unter
der kommenden Präsidentschaft von Joe Biden nicht mehr so wichtig für die USA
sein wird wie früher, und deshalb "sehe ich unser Land in einer doppelten
Verantwortung" - deutsche Führung in Europa und eine stärkere Rolle für
Berlin innerhalb der NATO.
Der deutsche Verteidigungshaushalt wurde bereits im vergangenen Jahr um 10
Prozent erhöht. Zur Begründung sagte Steinmeier, die Soldaten hätten "ein
Recht darauf, mit der bestmöglichen Ausrüstung ausgestattet zu werden, die
dieses Land ihnen zur Verfügung stellen kann, die ihnen den bestmöglichen
Schutz bietet und sie in die Lage versetzt, den von der Politik definierten
Auftrag zu erfüllen."
Steinmeier sagte: "Die Erfahrungen von Soldaten, die ... im Kampf gedient
haben, wo sie physisch oder psychisch verwundet wurden ... sind Teil unserer
Erfahrungen. Ihre Kämpfe sind unsere Kämpfe, auch wenn hier in Deutschland
tatsächlich Frieden herrscht. Das ist nicht nur etwas, was wir von unserer
Gesellschaft erwarten können. Es sollte auch für unsere Gesellschaft wichtig
sein. Die Gesellschaft schuldet Ihnen diese Empathie und dieses
Interesse."
Es tauchen Traditionen auf, die erschreckend an die 1930er Jahre erinnern - die
herrschende Elite drängt die gesamte deutsche Nation dazu, sich mit dem
Militarismus zu identifizieren. Die Auswirkungen von all dem werden in der
deutschen Politik deutlich werden.
Unmittelbar wird die Haltung der EU zur Situation um den Iran entscheidend.
Deutschlands Haltung in der Iran-Atomfrage hat sich geändert und deutet auf
eine möglicherweise neue EU-Politik hin, die das zu erreichen sucht, was
US-Präsident Donald Trump mit der sogenannten "Maximaldruck"-Kampagne
nicht erreicht hat.
In einem Interview mit dem Spiegel sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas
Anfang des Monats: "Eine Rückkehr zum bisherigen (2015er)
Iran-Atomabkommen wird ohnehin nicht ausreichen. Es wird eine Art 'Atomabkommen
plus' geben müssen, was auch in unserem Interesse ist. Wir haben klare
Erwartungen an den Iran: keine Atomwaffen, aber auch kein ballistisches
Raketenprogramm, das die gesamte Region bedroht. Der Iran muss auch eine andere
Rolle in der Region spielen. Wir brauchen dieses Abkommen, gerade weil wir dem
Iran misstrauen. Darüber habe ich mich bereits mit meinen französischen und
britischen Amtskollegen abgestimmt."
Es ist das erste Mal, dass sich ein deutscher Außenminister explizit für ein
"besseres" Abkommen mit dem Iran ausspricht. Miguel Berger,
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, bekräftigte unterdessen die Botschaft von
Maas, indem er eine "entschlossene Reaktion" auf die Rolle des Irans
in der Region versprach, "notfalls mit Sanktionen".
Bezeichnenderweise wurden diese Äußerungen ebenfalls im Zusammenhang mit der
Notwendigkeit eines "aktualisierten" Atomabkommens mit dem Iran
gemacht. Es ist eine heuchlerische Haltung, da Deutschland seine
Verpflichtungen aus dem Abkommen von 2015 nicht eingehalten hat und sich
bewusst ist, dass der Iran aufgrund der Erfahrungen mit anderen Unterzeichnern,
die das Atomabkommen aufgekündigt haben, nicht bereit ist, neue Gespräche mit
dem Westen aufzunehmen.
Grundsätzlich scheint Deutschland Angst vor einem starken Iran zu haben, der
seinem eigenen zukünftigen Expansionismus in den Regionen rund um den Iran im
Wege stehen könnte. Deutschland weiß sehr wohl, dass der Iran nicht auf den
Erwerb von Atomwaffen aus ist, während im Gegenteil Deutschlands eigene Pläne,
sich irgendwann in Richtung der Entwicklung von Atomraketen zu bewegen, ein
offenes Thema bleiben.
Es genügt zu sagen, dass Deutschland nicht nur nicht bereit ist, sich
substanziell auf den Iran einzulassen, sondern es auch nicht eilig zu haben
scheint, auf eine rasche Rückkehr der USA zum Atomabkommen mit dem Iran zu
drängen. Es gibt keine andere logische Erklärung für die jüngste gemeinsame
Erklärung der E3 (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) vom 7. Dezember,
die unter den vorherrschenden Umständen überhaupt nicht hilfreich ist, da die
Priorität darin liegt, dass die Joe-Biden-Administration greifbare Schritte
unternimmt, die die Pattsituation aufbrechen und den Beginn von Verhandlungen
so früh wie möglich ermöglichen.
Zweifellos hat Deutschland die Situation weiter verkompliziert, indem es vom
Iran neue Zugeständnisse in Bezug auf andere "nicht-nukleare" Themen
wie das iranische Programm für ballistische Raketen und seinen regionalen
Einfluss forderte, die nicht Teil des Abkommens von 2015 waren. Wenn Deutschland
in gutem Glauben gehandelt hätte, hätte es seine Botschaft darauf konzentrieren
sollen, Biden zu ermutigen, dem Abkommen von 2015 schnell und bedingungslos
wieder beizutreten.
In der Zwischenzeit lieferte Deutschland am 3. Dezember das erste von vier
hochmodernen Kriegsschiffen aus deutscher Produktion an Israel aus, die mit
Raketen- und Raketenabwehrsystemen, Flugabwehr- und Schiffsabwehrraketen,
Torpedos und einer verbesserten Startrampe für Israels neueste
Kampfhubschrauber ausgestattet sind. Der israelische Militärchef,
Generalleutnant Aviv Kohavi, nannte sie "eine
der fortschrittlichsten Kriegsmaschinen der Welt, die einen bedeutenden Sprung
in der Fähigkeit des israelischen Militärs darstellt, unsere Stärke auf See und
bei Marineoperationen zu gewährleisten."
Unterm Strich lehnt Deutschland die objektiven Trends zur Bildung einer
multipolaren Welt ab. Sein Spielplan ist es, einerseits die EU unter dem Motto
der europäischen Souveränität zu führen und andererseits den europäischen
Pfeiler der NATO zu stärken, der es Deutschland ermöglicht, eine
Sicherheitspolitik von der Sahelzone über das Mittelmeer bis zum Nahen und
Mittleren Osten zu betreiben. Deutschland wird seine regionalpolitischen
Interessen gemeinsam mit den USA definieren, aber in einer ausgewogenen
Partnerschaft mit einer größeren Rolle in der politischen Entscheidungsfindung.
Quelle: [https://www.salon.com/writer/m-k-bhadrakumar ; https://valdaiclub.com/about/experts/341/
u.v.m.]
Übersetzt mit Hilfe von DeepL.com von Ingrid Koschmieder
*M. K. BHADRAKUMAR ist Journalist, Blogger und indischer Diplomat im Ruhestand.